KKZ: Kapitel 50 – 56

Kapitel 50 – Flackerndes Licht
Kapitel 51 – Wer stahl die Medikamente
Kapitel 52 – Bis in den Himmel
Kapitel 53 – Die Forderungen der Vastus Antishal
Kapitel 54 – Ryomas Kampf
Kapitel 55 – Doppelkampf – Sayokos und Matras Herausforderung
Kapitel 56 – Die kleinen ganz groß!


Kapitel 50 – Flackerndes Licht

Sachte fuhr ein kleines Boot in einen Hafen ein. Es war kühl.
An einem Holzsteg warf der schwarz-haarige Junge ein Seil um einen Pflock und zog mit Hilfe des Hasenbäres das Boot komplett an den Steg heran. So konnten die acht Personen aussteigen. Wieder festen Boden unter ihren Füßen zu haben, erfüllte sie alle mit einem Gefühl der Sicherheit und der Erleichterung. Ohne ein Wort zu sagen, schlenderten sie langsam in Richtung Stadt. Ein Matrose kam ihnen entgegen und fragte sie etwas, doch er bekam keine Antwort. Die anderen Hafenarbeiter und Schiffsmänner sahen die Freunde komisch an.
Die Reise, die Ginta und seine Freunde hinter sich hatten, war glücklicherweise ohne Komplikationen verlaufen. Als sie von der Insel flüchteten, war die See ruhig.

Es war eine kleine, beschauliche Stadt. Es war ruhig und die Freunde erregten wenig aufsehen. Kûosa wurde zwar wie gewöhnlich angestarrt, jedoch ignorierten die Stadtbewohner den Bären. Sayoko sah sich um und entdeckte ein kleines, schlichtes Hotel, das wohl geeignet dafür schien, den Freunden als Unterkunft für eine Nacht zu dienen.
Sie gingen hinein und wurden höflich begrüßt.
„Zwei Zimmer für jeweils 4 Personen, bitte…“, bat Sayoko.
„Es tut mir Leid“, entgegnete ihr die Person hinter dem Tresen, „Diese Zimmer sind besetzt… Die letzten, die ich noch übrig habe, sind ein Zimmer für acht und zwei Zimmer für zwei Personen…“
„Dann bleibt uns wohl nichts mehr übrig, als das zu nehmen“, seufzte Sayoko und drehte sich um, „Aber ihr Jungs benehmt euch! Kûosa, du auch!“
Kûosa grinste wie immer und kratzte sich an einem seiner Hasenohren.
„Natürlich…“, gab Ginta von sich und seufzte leicht.
Dann griff sich Sayoko die Schlüssel, zahlte gleich das Geld für die Nacht und sie begaben sich nach Oben. Als sie ankamen, öffneten sie die Tür und sie standen in einem riesigen Zimmer. Es hatte sogar zwei Ebenen. Auf der einen standen eine Sofagarnitur und vier Betten, sowie ein großer Tisch. Man konnte sogar auf den Balkon nach draußen gehen. Mit einer kleinen Treppe, die doch eher wie eine Leiter aussah, konnte man die zweite Ebene erreichen, auf der eigentlich nur die letzten vier Betten waren.
Ein Staunen ging durch die Gruppe. In so einem schönen Hotelzimmer waren sie noch nie vorher gewesen.
„Wir haben sogar Ausblick aufs Meer…“, stellte Jumon fest.
„Die Betten sind super weich!“, rief Tsuru, die sich lachend auf ein Bett schmiss.
„Dafür war das Zimmer aber erstaunlich billig…“, murmelte Sayoko, „Na ja, was soll’s!“
Plötzlich grummelte einer der Personen mächtig der Magen.
Es war Yuu, der in der Mitte des Raumes stand und rot anlief, als ihn plötzlich alle anstarrten.
„Da hat wohl einer Hunger, was?“, grinste er und im nächsten Augenblick schon grummelte sein Magen mindestens genauso laut wie der von Yuu.
Sie lachten und steckten die anderen mit ihrem Lachen an.
„Dann wird es wohl Zeit, etwas zu essen, oder?“, warf Sayoko in die Runde.
„Wäre nicht schlecht“, fügte Jumon hinzu.
„Ja! Ich habe Kohldampf!“, beschwerte sich Tsuru.
„Schaut mal…“, meinte Shiana und nahm einen Prospekt in die Hand, „Sie haben hier sogar einen Zimmerservice, der einem jegliches Essen bringt…“
„Dann sollten wir da zuschlagen! Ich gehe schon mal runter und bestelle für uns etwas, ja?“, meinte Sayoko, schnappte sich den Prospekt und verließ das Zimmer.
„Dann heißt es wohl warten…“, sagte Ginta und setzte sich an den Tisch.
Yuu setzte sich auch an den Tisch. Er wirkte etwas nachdenklich. Wahrscheinlich lag das auch an der erschöpfenden Reise mit dem Boot und den Geschehnissen auf der Insel.
„Rukiyo…“, flüsterte er.
Plötzlich berührte jemand seine Schulter. Es war Jumon der sich neben ihn setzte.
„Gib dir nicht die Schuld“, flüsterte er, sodass die anderen nichts mitbekamen.
„Aber…“, zuerst war Yuu geschockt, dass Jumon wusste, was er dachte, „Woher weißt du…?“
„Er reagiert auf das, was du denkst, das spüre ich…“
„Stimmt, du hast ja eine besondere Verbindung zu Geistern“, erinnerte sich Yuu.
„Rukiyo würde sicherlich wollen, dass du dir keine Vorwürfe machst… Also mach ihn nicht traurig, ja?“
Der schwarz-haarige Junge atmete tief ein und aus.
„Okay, ich tue es für ihn…“
Jumon lächelte und wandte sich zu Ginta. Er sah ihn erwartungsvoll mit hochgezogener Augenbraue an.
Ginta verstand doch das Zeichen nicht, wodurch Jumon seinen Kopf etwas in Yuus Richtung neigte, was in Gintas Kopf eine Art Geistesblitz auslöste.
„Ach, sag mal Yuu, was hast du jetzt eigentlich vor?“, fragte der 15-Jährige ihn.
„Das… ist eine gute Frage, wahrscheinlich…“
„Hast du nicht Lust, uns noch ein wenig zu begleiten?“, schlug Ginta vor.
„Ja, dann wär dir sicher für einige Zeit nicht mehr so langweilig“, lachte Jumon.
Jetzt setzten sich auch die anderen beiden Mädchen an den Tisch. Tsuru war schon mit Kûosa nach oben geklettert, um dort zu spielen.

Matra folgte dem Gespräch still. Shiana lächelte nur vor sich hin und streichelte Myu, die sich auf ihren Schoß legte.
Yuu hielt noch inne um nachzudenken.
„Jetzt komm schon“, forderte Ginta und stützte seinen Kopf auf einen Arm.
„Okay okay…“, gab Yuu nach, „Aber nur ein Weilchen, bis mir etwas Besseres einfällt, klar?“
„Klar“, wiederholte Ginta und grinste breit.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Sayoko hielt einigen Kellnern die Tür auf. Sie brachten einen Haufen Essen und stellten unzählige Teller und Töpfe auf den Tisch.
„Vielen Dank, vielen Dank“, bedankte Sayoko sich vielmals und schloss die Tür wieder, nachdem die Kellner wieder verschwunden waren, „So Leute, lasst es euch schmecken! Hab dafür ja schließlich auch eine Stange Geld abdrücken müssen…“
„War das wirklich so teuer?“, wunderte sich Jumon der sich das leckere Essen ansah.
„Klar, weil das Zimmer so billig ist. Da muss das Essen teuer sein“, stellte sie fest, „Aber nichtsdestotrotz, lasst uns reinhauen!“
Sie setzte sich ebenfalls an den Tisch und auch Tsuru und Kûosa kamen hinzu. Dann genossen sie ihr köstliches Mahl aus den verschiedensten Gerichten. Von Nudeln zu den verschiedenen Gemüse und Fleischsorten bis hin zu super leckeren Nachspeisen.

Als das flackernde Licht der Straßenlaternen in das Zimmer schien, schliefen alle, bis auf Ginta. Er hatte sich seine Decke um sich gewickelt und saß auf dem Balkon, seinen Rücken an die Glastür gelehnt. Nur das Rauschen des Meeres und das Zirpen der Grillen unterbrach die Ruhe. Es war wieder eine Nacht, in der er nicht wirklich Schlafen konnte. Doch irgendwie wurde das in letzter Zeit schon zu einer Selbstverständlichkeit.
Ginta dachte auch des öfteren wieder an seine Großmutter und an die Leute, die durch die Shal ebenfalls großes Leid erfahren mussten. Wann würde seine Reise denn endlich ein Ende haben? Wann konnte er wieder in Ruhe schlafen, ohne Sorgen zu haben, wie es weiterginge?
Doch irgendwie wollte Ginta nicht, dass seine Reise jetzt schon aufhörte. Es würde bedeuten, dass er sich von seinen Freunden wieder trennen müsste. Denn sie würden sicherlich ihren eigenen Weg weitergehen, ohne ihn. Und er wäre wieder allein.
Es war ja schon schwer genug ohne Oto und Ryoma weiterzureisen. Irgendwie fiel es ihm schwerer als sonst, sich selbst zu motivieren.
„Ich hoffe, die anderen merken davon nichts…“, flüsterte er und stütze seinen Kopf auf seine von der Decke bedeckten Knie, „Oto… Ryoma… ich hoffe euch geht es gut…“

Plötzlich machte sich sein Amulett bemerkbar. Vorsichtig drehte er sich um und stand auf. Irgendetwas leuchtete schwach von dort, wo die Mädchen schliefen.
Er machte sich Sorgen, ging wieder in das Zimmer und legte seine Decke auf das leere Bett. Vorsichtig und leise kletterte er die Leiter zur Ebene der Mädchen hinauf. Ab und zu knarrte es etwas, Ginta hielt inne für eine Pause und kletterte dann weiter.
Als er oben ankam, versuchte er herauszufinden, woher das Leuchten kam. Er sah sich um und entdeckte Shiana, von der das Leuchten ausging. Leise schlich er an ihr Bett. Je näher er ihr kam, desto schwächer wurde das Leuchten.
Sie murmelte etwas im Schlaf.
„Sie träumt nur…“, stellte Ginta fest, als er sich zur ihr herunter beugte.
„Gin… ta…“, flüsterte sie und griff plötzlich nach seiner Hand. Das blau-haarige Mädchen träumte immer noch. Dann verzerrte sie ihr Gesicht und murmelte weiter unverständliches Zeugs.
Ginta hielt seinen Atem kurz an und entspannte sich dann wieder. Es fühlte sich schön an, ihre Hand zu halten.
„Träumst du etwa schlecht? Gib nicht auf, Shiana…“, flüsterte er ihr zu.
Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Gib nicht auf…“, wiederholte er. Dann wurde ihr Blick wieder sanfter.
Sie hielten immer noch ihre Hände und Ginta merkte nicht einmal mehr, was um ihn herum geschah. Er bemerkte nicht wie sein Amulett reagierte und er bemerkte auch nicht den sanften Windzug, der durchs Zimmer fuhr, da er vergessen hatte die Balkontür zu schließen.
Das Einzige, was gerade zählte, war diese Hand halten zu können und Shiana noch etwas beizustehen, bis ihr schlechter Traum wirklich beendet war.

Gintas Körper kribbelte nach einiger Zeit etwas. Ein Seufzen wurde dann allmählich zu einem Gähnen und langsam aber sicher wurden seine Augenlider immer schwerer. Einmal nickte er kurz ein, wachte dann aber wieder auf.
Die Müdigkeit fühlte sich gut an. Doch sein Bewusstsein rüttelte noch ein letztes Mal an ihm und er merkte, dass es Zeit war, sich in sein Bett zu legen. Er ließ Shianas Hand langsam wieder los, überlegte ihre Hand wieder zu nehmen und entschied sich dann jedoch dagegen. Dann stieg er behutsam die Stufen wieder herunter. Dann legte er sich in sein Bett und schlief ein, während die ersten Sonnenstrahlen am fernen Horizont die Welt schon wieder wecken wollten.


Kapitel 51 – Wer stahl die Medikamente?

„Das ist nicht gut“, seufzte Sayoko und legte der kleinen Tsuru einen feuchten Waschlappen auf den Kopf, „Ohne Medikamente wird sie nicht mehr gesund.“
„Dann gehen wir halt welche holen. Hier in der Stadt gibt es bestimmt eine Apotheke“, schlug Ginta vor.
„Ich komme auch mit“, meinte Yuu, „Mir ist eh langweilig.“
Jumon schielte über den Rand eines Buches, das er las und sagte: „Gut, dann geh ich eben auch mit. Dann könnt ihr Mädchen etwas allein sein.“
Shiana setzte sich neben das Bett, in dem Tsuru lag, und strich ihr sanft über die Hand.

Die Freunde verließen gestern die Hafenstadt und kamen in Ido City an. Sie suchten sich ein billiges Hotel und übernachteten. Als sie am nächsten Morgen jedoch aufwachten, ging es Tsuru gar nicht gut. Sie hatte Fieber und starke Magenschmerzen.
Also entschlossen sie sich noch einen Tag hier zu bleiben und Tsuru auskurieren zu lassen.
Das Einzige, was dazu noch fehlte, waren die Medikamente, die die Jungs nun holen wollten.

„Hier hast du Geld“, meinte Sayoko und drückte Ginta ein paar Scheine in die Hand, „Das müsste reichen. Wisst ihr, was ihr holen müsst?“
„Klar, etwas gegen Fieber und Magenschmerzen.“
„Gut aufgepasst. Also dann, wir sehen uns später“, verabschiedete sie sich.
„Bis später“, verabschiedeten sich die Jungs und gingen. Sie liefen durch die Stadt und suchten nach einer Apotheke. Hier und da fragten sie nach dem Weg.
Nach nicht allzu langer Zeit kamen sie dann an einem kleinen Gebäude an.
Als sie hineingehen wollten, knallten plötzlich die Türen auf und eine Frau mit langen Haaren und einer eigenartigen Mütze kam heraus.
„Keine Medikamente… kein Geld…“, flüsterte sie und ging grimmig weg.
„Die war aber komisch“, wunderte sich Yuu und zog eine Augenbraue nach oben.
„Sah auch sehr komisch aus…“, fügte Jumon hinzu und betrat als erster die Apotheke. Ginta und Yuu folgten ihm.
Kurz darauf ging auch ein alter Mann in einer blauen Uniform hinein.
„Immer mit der Ruhe!“, begrüßte er die Gruppe Menschen, die sich in dem Laden befanden und lauthals redeten, „Bin ja endlich da.“
„Hat ja lang genug gedauert“, beschwerte sich ein eklig aussehender Kerl mit abstehenden violetten Haaren, die zu den Spitzen hin blond wurden.
„Vielen Dank, dass sie gekommen sind…“, begrüßte ihn ein ebenfalls älterer Mann in einem weißen Kittel. Er stand hinter dem Tresen, neben ihm eine junge Frau mit langen dunkelroten, fast schwarzen Haaren. Sie war anscheinend seine Assistentin.
Bis auf die Jungs waren dann noch eine alte Dame im Pelzmantel und ein Mann in zerzausten Klamotten, der sicherlich um die 40 war.
„Entschuldigung“, meldete sich Ginta zu Wort, „Wir hätten gern einige Medikamente…“
„Das tut uns sehr Leid, aber die Medikamente wurden gestohlen“, entschuldigte sich die Assistentin und verbeugte sich leicht.
„Gestohlen? Wie passiert denn so etwas?“, wunderte sich Yuu und setzte sich auf einen Stuhl.
„Deswegen bin ich doch hier“, meinte der Alte in der Uniform.
„Ja, das sind sie“, sagte der Apotheker, „Lassen sie mich ihnen das noch einmal erklären. Im Zeitraum von 11 bis 12 Uhr wurde fast die kompletten Medikamentenvorräte leergeräumt.“
„Und diese Personen waren zu diesem Zeitpunkt alle hier?“, fragte der Uniformierte nach.
„Bis auf diese Bälger“, meldete sich die Dame zu Wort, die ein wenig hochnäsig klang, „Jetzt machen sie schon! Zeit ist Geld!“
„Was heißt hier Bälger!?“, regte sich Yuu auf.
„Beruhig dich“, unterbrach ihn Ginta.
„Wir sind gerade erst gekommen“, erklärte Jumon und sagte dann leise, „Falls sie das nicht bemerkt haben…“
„Gut. Ich als Mitglied der Bürgerwehr muss das ganze Wohl aufklären…“, meinte der alte Mann und setzte sich ebenfalls auf einen Stuhl, „Aber zuerst hätte ich gern einen Kaffee.“
„Ich mach ihnen schnell einen…“, sagte die Assistentin leise und verschwand in einem Raum hinter dem Tresen.
„In diesem Zeitraum waren nur wir hier. Also muss es einer der Personen gewesen sein, die hier waren. Wenn neue Kunden gekommen wären, hätte ich das sicherlich gehört“, erklärte der Apotheker und deutete auf die Klingel, die über der Tür hing, „Wenn die Tür geöffnet wird, höre ich das Klingeln in jedem Raum des Gebäudes.“
Der Alte sagte nichts.
„Und wann kommen endlich die neuen Medikamente, Pensa!?“, stieß es plötzlich aus dem 40-Jährigen heraus. Er zitterte etwas und war anscheinend etwas nervös.
„Beruhige dich, Kenmei. Ich habe schon die Nachbarstadt benachrichtigt. Der Apotheker dort ist ein Bekannter, er bringt uns das nötigste. Nur dauert es ein wenig…“
„Aber ich kann nicht länger warten! Zuhause liegen drei meiner Kinder tot
krank im Bett und warten auf mich!“
„Ich kann doch auch nichts tun!“, brüllte der Apotheker und knallte mit den Händen auf den Tresen.
In diesem Moment kam die Assistentin herein, die erst erschreckte, aber dann vorsichtig und schüchtern den Kaffee auf den Tisch in der Mitte des Raumes stellte.
„Sie können sich frei bedienen“, sagte sie leise.
„Komm her…“, meinte der violett-haarige Kerl und zerrte sie zu sich. Da sie sich nicht halten konnte, fiel sie auf seinen Schoß.
„Wann können wir endlich gehen? Ich habe noch Termine“, beschwerte er sich und streichelte ihren Schoß.
„Sie können die junge Dame doch nicht so belästigen!“, regte sich Ginta auf.
„Sei still, Hosenscheißer… Sie ist meine Freundin, ihr gefällt das… Außerdem was hast du mitzureden!?“
Darauf entgegnete Ginta nichts. Jumon drehte sich zu seinem Freund und flüsterte ihm etwas ins Ohr: „Ignorier den Kerl einfach, der hat es doch nur darauf abgesehen, schlechte Laune zu versprühen…“

„Ich bekomme doch sicherlich als erste meine Medikamente, nicht wahr?“, forderte die eingebildete Dame.
„Natürlich, Frau Richori…“, meinte der Apotheker.
„Aber Pensa! Denk doch an meine Kinder, ich dachte wir wären Freunde!?“, brachte der verzweifelte Vater wieder ein.
„Kenmei, hör doch, sie ist meine Vermieterin, das weißt du doch…“
Dann drehte sich Kenmei um und blickte Frau Richori böse an. Er setzte sich wieder und legte seine zitternden Hände in den Schoß. Kurz darauf setzte sich auf seine linke Hand, während er an seiner rechten die Nägel abknabberte.
„Ich will endlich gehen!“, beschwerte sich der Kerl mit den abstehenden Haaren.
„Immer mit der Ruhe… ich möchte erst einmal alle vernehmen…“, sagte der Bürgerwehrler endlich, nachdem er seinen heißen Kaffee schnellstens getrunken hatte.
Dann stand er auf, nahm sich seinen Stuhl mit und scheuchte den Apotheker hinter dem Tresen weg. Während er von den anderen beobachtet wurde, holte er sich einen zweiten Stuhl und stellte diesen seinem gegenüber.
„Hier vernehme ich jeden…“, entschloss er und setzte sich, „Freiwillige vor.“
„Je schneller das hier vorbei ist, desto schneller kann ich nach Hause!“, pöbelte der junge Mann und stand auf.
„Aber Enga“, sagte die Assistentin, „Sei doch nicht so wütend…“
„Sei still, Iya!“
Dann setzte er sich auf den Stuhl und die Vernehmung begann.
Die anderen Personen setzten sich um den Tisch vor dem Tresen und tranken etwas Kaffee.

„Was haben sie in der Zeit zwischen 11 und 12 Uhr gemacht?“
„Ich saß hier die ganze Zeit und wartete darauf, dass Iya endlich mit ihrer Schicht fertig war. Mehr habe ich nicht getan.“
Das soll es schon gewesen sein? Ginta, der mit den anderen zuhörte, konnte das irgendwie nicht glauben. Vielleicht waren es die wild abstehenden Haare dieses Kerls, oder doch eher seine Art, die Ginta ein komisches Gefühl vermittelte. Mit ihm stimmte doch etwas nicht, das wusste er.
„Das war es schon? Okay, der Nächste bitte!“
Nun war Iya an der Reihe.
„Was haben sie in der besagten Zeit gemacht?“, fragte der Alte und kritzelte etwas auf einen kleinen Notizblock.
„Ich wartete hier auf Kunden und füllte nebenher noch einige Berichte aus. Ich bekam leider nicht viel von dem mit, was geschah.“
Nachdem sie ihre Aussage gemacht hatte, setzte sich nun Frau Richori auf den Stuhl.
„Ich bin die Vermieterin dieses Schuppens. Ich mache monatlich eine Durchsuchung um zu sehen, ob hier noch alles läuft. Außerdem wollte ich meine Miete haben und brauchte zudem noch einige Medikamente für mich. Während dieser Zeit bin ich durch das Haus gegangen und habe jeden Winkel durchsucht. Sie wissen ja gar nicht, was man alles finden kann, wofür ich dann auch noch mein wertvolles Geld ausgeben muss! Als Vermieterin hab ich große Verantwortung, der ich auch nachgehe.“
„Haben sie also irgendetwas bemerkt?“
„Nein, nicht wirklich. Ich war viel zu beschäftigt damit, zu überprüfen, ob auch alles in Ordnung ist.“
Danach setzte sich Kenmei auf den Stuhl.
„Was haben sie in der Zeit getan?“
„Ja… ich… ich hatte es eilig! Wie Sie wissen sind meine Kinder krank…“
„Wieso haben sie dann fast eine Stunde lang gebraucht, bis sie Zeuge wurden, dass die Medikamente gestohlen wurden?“
Unsicher knabberte Kenmei wieder an seinen Fingernägeln. Seine Atmung war sehr unregelmäßig und er wirkte nervös.
„Er war noch bei mir“, nahm ihn der Pensa, der Apotheker in Schutz, „Wir hatten noch etwas zu besprechen.“
„Wie ich vorhin heraus hörte, sind sie befreundet, nicht wahr?“, hakte der Alte nach und schrieb sich alles auf seinen kleinen Notizblock mit auf.
„Ja, wir kennen uns schon sehr lange und hatten noch private Angelegenheiten, die wir klären wollten…“
„Okay, vielen Dank erst einmal… gebt mir bitte ein oder zwei Minuten, dann ist das Rätsel gelöst!“, prahlte der Alte und kritzelte weiter Dinge auf seinem Notizblock herum.
Gespannt saßen die anderen da, trauten sich kaum einen Schluck Kaffee zu genehmigen und warteten auf die Lösung des Rätsels.

„Heureka! Ich hab‘s!“, rief der Alte plötzlich und sprang auf. Dann stellte er sich in die Mitte des Raumes und fing an zu erzählen.
„Während Frau Richori, die mit Abstand reichste Person im Umkreis von einigen Kilometern, ihren Durchgang machte, hatte der Dieb die Gelegenheit die Vorratskammer zu plündern! Der Apotheker und sein Freund, konnten davon aber nichts mitbekommen, da sie in seinem Büro private Sachen besprachen. Also bleiben dann nur noch die Assistentin und ihr Freund, die aber nur in diesem Raum saßen. Sie konnten es also alle nicht sein!“
„Wer war es dann!?“, staunten alle.
Ginta flüsterte etwas Jumon zu, der es dann Yuu zuflüsterte.
„Es war ein Fremder, der in offenes Fenster reinkletterte und alle Medikamente mit sich nahm!“
„Ein Fremder!?“, wunderte sich Enga, der mit den abstehenden Haaren, „Ja dann kann ich ja gehen…“
Er stand auf und wollte herausgehen, als ihm ein Junge mit schwarzen Haaren den Weg versperrte.
„Du bleibst da…“, meinte Yuu und drängte ihn zurück.
„Danke Yuu“, bedankte sich Jumon und ging einen Schritt nach vorn, „Das stimmt nicht. Es war kein Fremder.“
„Woher willst du das wissen, Kleiner!?“, brüllte Enga und stellte sich vor ihn.
„Ist doch ganz simpel: Frau Richori konnte es nicht gewesen sein. Sie ist nicht nur die Vermieterin, sondern auch die reichste Frau in der Umgebung. Sie hat keinen Grund Medikamente zu stehlen, außerdem würde es sicherlich ihren Vorstellung eines geordneten Lebens widersprechen, nicht wahr?“
„Da hast du recht…“, unterstützte sie ihn.
„Wir können den Apotheker selbst ebenfalls ausschließen. Wieso sollte er seine eigenen Medikamente stehlen und sich so in Schwierigkeiten bringen?“
„Sehe ich genauso“, warf Yuu ein.
Jumon lief um den Tisch umher. Die anderen hörten ihm gespannt zu.
„Sie kann ich auch ausschließen“, sagte er und zeigte auf den verzweifelten Vater, „dass sie die Medikamente gestohlen haben, weil ihre Kinder sie benötigen, dann wären sie doch schon längst wieder verschwunden. Außer die Geschichte mit ihren Kindern war nur erfunden. Ihr Motiv könnte auch Geld sein.“
„Geld?“, wunderte er sich und kaute wieder auf seinen Fingernägeln herum.
„Sie sind mit dem Apotheker hier befreundet“, stellte er fest und wendete sich zum Apotheker, „Sie müssen doch relativ gut verdienen, oder?“
„Das kann ich bezeugen“, lachte Frau Richori.
„Sie würden ihrem guten Freund auch sicherlich Geld leihen, wenn er es benötigen würde… Aber wenn ihm das nicht genug war?“
„Was soll das jetzt schon wieder heißen!?“, beschwerte sich Kenmei.
„Ich stelle nur einige Thesen auf, mehr nicht“, verteidigte sich Jumon, „Und vom Büro aus hätten sie sicherlich leichteren Zugang zu der Vorratskammer gehabt.“
Jetzt sah der Vater verwundert aus der Wäsche.
„Das stimmt doch gar nicht!“
„Da haben sie recht“, erklärte Jumon weiter, „Wenn sie die Medikamente gestohlen hätten, müssten sie noch irgendwo hier in der Nähe sein.“
„Sind sie aber nicht“, wandte der Apotheker ein, „Wir haben überall gesucht.“
„Dann bleiben wohl noch der nichtsnutzige Punk und seine schüchterne Freundin übrig…“
„Was heißt hier Punk!?“, brüllte Enga und packte Jumon an seiner Jacke. Er ballte eine Faust und hielt sie ihm bedrohlich ans Gesicht.
„Gebt es doch zu“, meinte Yuu und verschränkte die Arme, „Sie hatte den Schlüssel für die Vorratskammer. Außerdem habt ihr beide ein sehr schwankendes Alibi…“
„Du auch noch!“, beschwerte sich Enga und wollte nun Yuu packen, schaffte es aber nicht, weil Ginta dazwischen ging.
„Schnell mal Medikamente stehlen und sie wahrscheinlich irgendwo verkaufen…“, erklärte Ginta weiter, „Oder du bringst sie deinen Kameraden…“
„JA!“, quiekte Iya plötzlich und zeigte auf ihren Freund, „Wir waren es! Er hat mich dazu gezwungen! Er drohte mir damit, meiner kleinen Schwester anzutun, wenn ich ihm nicht helfen würde! Dann habe ich…“
„Halt die Klappe!“, brüllte Enga.
Gleich packten Yuu, Jumon und Ginta ihn, sodass er nicht auf Iya losgehen konnte, die zunächst zurückschreckte.
Jetzt konnte sie ungestört weitererzählen. Schluchzend beschrieb sie weiter den Tatvorgang: „Ich sperrte die Vorratskammer auf und öffnete das Fenster auf der Rückseite des Hauses. Männer in schwarzen Mänteln warteten auf ihn und sie nahmen alles mit… Es… es tut mir doch so Leid!“
„Ist schon gut, Iya“, meinte der Apotheker und nahm sie in den Arm. Sie weinte.
„Du gestörte Tusse!“, brüllte Enga und riss sich von den Jungs los. Er war doch etwas muskulöser und größer gewesen.
„Schwarze Mäntel…“, murmelte Ginta vor sich hin.

Er wusste, dass dieser Kerl irgendetwas mit den Shal zu tun hatte. Das spürte er vorhin bei der Vernehmung. Es war ein komisches Gefühl, das er nur in Gegenwart von Shal-Mitgliedern hatte.
„Du gehörst zu den Shal“, sagte er mit gesenkter Stimme.
„Du kennst meinen Club also?“, lachte Enga, „Ja! Ich habe all die Medikamente gestohlen… Was soll‘s!“
Er lachte weiter.
„Du…!“, brüllte Ginta und sprang. Als er für einen kurzen Moment in der Luft war, verpasste er Enga einen harten Schlag ins Genick, wodurch er ohnmächtig zu Boden fiel.
„Das war ein wenig zu hart“, gab Yuu von sich.
„Etwas…“, seufzte Jumon und ging vorsichtig einen Schritt zurück.
Ginta stand da und betrachtete die Person, die auf dem Boden lag. Die anderen Personen im Raum waren erschrocken.
Seine Hände leuchteten. Sie leuchteten schon lange nicht mehr, aber jetzt taten sie es. Es war wieder dieses bestimmte, blaue Leuchten.

„Sie können ihn abführen…“, schlug Jumon vor.
Der alte Mann musste erst einmal die Situation verarbeiten, merkte dann aber, dass es doch seine Aufgabe war, den Verbrecher einzubuchten.
Er legte ihm Handschellen an und zerrte ihn aus dem Gebäude. Draußen kam dann die Verstärkung und nahmen ihn mit.
„Wie habt ihr das herausgefunden?“, wunderte sich der Apotheker, der den Jungs dankend die Hände schüttelte.
„Das war eigentlich nur geraten“, antwortete Yuu.
„Ja, wir haben uns einzig und allein auf Gintas Gefühl verlassen“, grinste Jumon.
„Es fehlte nur die Redekunst von Jumon“, fügte Ginta hinzu, der nicht allein die Lorbeeren einheimsen wollte.
„Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr das aufgeklärt habt…“
„Aber die Medikamente bekommen sie deswegen nicht zurück…“, wandte Yuu ein und seufzte.
„Das wird sich schnell ändern!“, lachte ein dicker, bärtiger Mann, der gerade zur Tür herein kam.
„Yendorf! Schön dich zu sehen!“, rief der Apotheker.
„Hier hast du die versprochene Medizin!“, lachte der dickere und nahm einen riesigen Rucksack von seinem Rücken, „Bin so schnell gekommen, wie ich nur konnte!“
„Danke, danke!“, bedankte sich Pensa und machte den Rucksack auf und nahm einige Packungen heraus.
„Das ist für sie, Frau Richori“, meinte er und übergab ihr eine Packung Medikamente.
„Das ist für deine Kinder“, sagte er und gab Kenmei einige Packungen, „Lies die Anweisungen, dann weißt du wie viel du ihnen geben musst, aber jetzt beeil dich, damit sie wieder gesund werden!“
„Danke!“, rief sein Freund und spurtete los.
Zuletzt ging er zurück zur Tasche und kramte etwas heraus. Er warf es Ginta und den andern zu.
„Das ist gegen Fieber und Bauchschmerzen… Die Medikamente gehen aufs Haus, weil ihr uns so sehr geholfen habt!“, erklärte er und grinste bis über beide Ohren.
„Danke sehr! Ich hoffe, dass sie bald wieder alles hinbekommen“, bedankte sich Jumon und die Jungs verabschiedeten sich von den anderen. Dann hieß es so schnell wie möglich zurück ins Hotel, in dem Tsuru und die Mädchen schon auf sie warteten.
Sayoko war sehr aufgebracht, weil sie so lange gebraucht hatten, aber Ginta erklärte ihnen die ganze Geschichte, während sie die Medizin für Tsuru vorbereiteten.
Die Medizin zeigte ihre Wirkung sofort, aber es dauerte dann doch noch einen ganzen Tag, bis sich Tsuru wieder topfit fühlte.


Kapitel 52 – Bis in den Himmel

Einzelne, flauschige Wolken zogen über den Himmel und warfen nur gelegentlich Schatten auf die hügelige Landschaft. In der Umgebung standen wenig Bäume. Hier und da sprossen wilde Blumen.
Nachdem Tsuru sich wieder erholte und sich bereit fühlte weiterzureisen, machten sich die Freunde weiter in östlicher Richtung.
„Auch wenn es ihr anscheinend besser geht, sollten wir trotzdem recht früh wieder Rast machen. Eigentlich bräuchte sie noch mehr Ruhe…“, meinte Sayoko, die neben Ginta herlief.
„Aber Kûosa trägt sie doch, reicht das etwa nicht?“, wunderte er sich.
„Sicher ist sicher… Nicht, dass noch etwas passiert, wodurch wir im Endeffekt noch länger aufgehalten werden…“, sagte sie kühl und drehte ihren Kopf beiseite.
Ein Stückchen hinter den beiden liefen Matra, Kûosa, der Tsuru auf den Schultern trug und Shiana. Die kleine lachte fröhlich und versuchte Kûosa etwas zu lenken, doch er ließ nicht so leicht mit sich spielen.
Nicht viel weiter hinten liefen Yuu und Jumon, aber auch Myu, die wohl einmal nicht zu faul dafür gewesen war, in Gintas Tasche zu liegen.
„Klar, das ist verständlich“, fügte Ginta hinzu und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf.
Der Wind wehte über die Landschaft und bewegte das Gras. Die Wolken zogen mal schnell und mal langsam über das Himmelszelt. So verstrich die Zeit. Ab und an erzählten sie sich Geschichten von früher, träumten von köstlichem Essen oder liefen auch einfach nur still nebeneinander her.

Es war Nachmittag, als Tsuru in der Ferne etwas erspähte.
„Guckt mal, guckt mal!“, rief sie und streckte ihren Arm in eine Richtung, „Dort steht eine große Hütte!“
„Wo?“, wunderten sich die anderen.
„Ja, dort!“, wiederholte sie und zeigte mit dem Finger über ein, zwei Hügel hinweg.
„Jetzt kann ich es auch sehen“, meinte Jumon.
„Ich auch… Die muss aber groß sein“, fügte Yuu hinzu.
Sayoko drehte sich erst um und betrachtete den Stand der Sonne.
„Das ist ja echt praktisch, vielleicht können wir dort bis morgen früh bleiben?“, schlug sie vor.
„Und was, wenn dort schon jemand wohnt?“, wandte Matra ein.
„Dann fragen wir einfach, ob wir dort übernachten können“, meinte Yuu und gähnte einmal herzhaft.
Matra gab nur noch ein „Mhh“ von sich.
Es dauerte nicht lange, dann kamen sie der Hütte näher. Irgendwie sah sie verlassen aus, fast wie eine Scheune ohne Tiere.
Ginta traute sich als erster, einen Schritt in sie hineinzuwagen.
„Hallo…“, hallte es leise durch die kleine, leere Halle, in der er stand, „Hallo… Ist da wer?“
„Scheint keiner da zu sein“, stellte Jumon fest, der mit den Anderen auch in die Halle kam.
Ginta drehte sich um.
„Anscheinend…“, antwortete er.
Doch in diesem Moment tauchte hinter ihm ein Schatten auf und eine Hand packte ihn an der Schulter.
„AHH!!“, schrie er und sprang fast in die Luft.
„Schön euch zu sehen!“, begrüßte sie eine fremde Stimme und lachte.
Ginta musste erst einmal tief einatmen und den Schreck verdauen.
„Seid ihr hier, weil ihr einmal über die Felder segeln wollt?“, erkundigte sich ein junger Mann, ungefähr Mitte 20.
Er hatte kurzes mittel- bis dunkelblondes Haar. Einen Streifen auf seinem Kopf war schwarz gefärbt, wie seine Koteletten und die Haare um seine Ohren herum. Außerdem trug er eine Fliegerjacke, eine Fliegerbrille und eine kurze Hose, unter der er anscheinend schwarze Strümpfe trug. An seinen Ärmeln waren Fäustlinge angenäht.
„Über die Felder segeln?“, wunderte sich Yuu, der diesen Kerl zunächst mit hochgezogener Braue musterte.
„Ja, deswegen habe ich diesen Verleih hier eröffnet!“, strahlte er.
„Wir sind eigentlich nur hier, weil wir nach Unterschlupf fragen wollten“, sagte Sayoko.
„Ach, ihr wollt übernachten? Natürlich könnt ihr hier bleiben“, lachte er, „Ich hoffe aber, es stört euch nicht…“
„Was soll uns nicht stören?“, wunderte sich Ginta.
Doch schon im nächsten Augenblick wurde allen klar, was der Mann damit meinte. Plötzlich ertönte aus der Hütte in einer hohen Lautstärke klassische Musik.
Dem Mann gefiel es anscheinend. Er ließ etwas locker, seufzte erleichtert aus und meinte: „Ist das nicht toll? Ich hatte schon immer eine Schwäche für klassische Musik…“
Natürlich waren im ersten Moment alle geschockt, doch lange hielt das auch nicht an.
„Ahh!“, rief er aus, „Jetzt kommt mein Lieblingspart!“
Er schloss seine Augen, als die Musik etwas stiller wurde, doch dann ertönte das Zusammenspiel eines Orchesters von unglaublicher Stimmung. Es hörte sich so an, als würden tausend Vögel in den Himmel aufsteigen, doch nur in einer schönen Melodie.
Der Mann warf seine Arme nach oben und drehte sich einmal, blieb dann aber gefasst stehen, als er merkte, wie die anderen ihn anstarrten.
„Gut gut…“, murmelte er, „Dann mach ich die Musik eben etwas leiser…“
„Der hat sie nicht mehr alle“, flüsterte Yuu Ginta zu.
„Ich will hier nicht bleiben“, sagte Matra kühl.
„Es wäre aber echt praktisch…“, brummte Sayoko, die die Karte wieder in den Händen hielt, „Wir bräuchten noch fast einen ganzen Tag bis zur nächsten Stadt…“
Als der Mann wieder kam und die Musik leiser gestellt wurde, konnte die Konversation von gerade weitergeführt werden.
„Natürlich könnt ihr hier für eine Nacht bleiben. Ich habe oben noch einige Betten übrig, in denen ihr schlafen könnt“, erklärte er, „Ach, mein Name ist übrigens Lliam McScrew. Schön euch kennenzulernen.“
Er ging zu jedem hin und streckte seine Hand aus. Nachdem jeder sich ebenfalls vorstellte und seine Hand schüttelte, zog er sich seine Fäustlinge über und verschwand wieder kurz in der Halle. Dann kam er mit einem komisch aussehenden Fahrzeug wieder. Es war – wie sollte man es anders erklären? – ein besegeltes Dreirad, in einer etwas größeren Dimension.
Es bot Platz für zwei Personen und es schien gar nicht so schwer zu bedienen zu sein.
„Das hier, das sind meine Schätze…“, fing Lliam an und streichelte über einen Sitz des Geräts, „Ihr seid mir so sympathisch, ich bringe euch gern das Fahren bei und das auch noch kostenlos!“
„Wirklich kostenlos?“, wunderte sich Sayoko, „Da gibt es doch einen Haken.“
Lliam blickte zu Boden, als würde er sich schämen: „Gut, einen Haken gibt es doch. Ich mache das alles, wenn ihr mir heute Abend was Leckeres kocht!“
„Ihn auch noch bedienen? Das ist doch alles nur Mist…“, murmelte Matra vor sich hin.
„Sei doch nicht so böse“, sagte Shiana leise und blickte ihr in die Augen, „Eine Person mehr bekochen, das ist doch nichts…“
„Finde ich auch!“, lachte Ginta, der sich wohl schnell überzeugen ließ.
„Dann ist es beschlossene Sache?“, hakte Lliam noch einmal nach.
„Beschlossene Sache“, bestätigte Ginta und gab ihm die Hand.
„Wer möchte denn gern alles mitmachen?“
„Ich auf jeden Fall nicht. Da koche ich lieber…“, sagte Matra und ging einige Schritte zurück.
„Ich muss ebenfalls passen“, sagte Sayoko und stellte sich zu Matra.
„Ich will! Ich will!“, brüllte Tsuru und sprang von Kûosa.
„Nein nein, du musst dich ausruhen… und ich werde auf dich aufpassen“, sagte Jumon und zerrte sie zu Sayoko und Matra, „Das ist nicht so mein Fall. Habt den Spaß doch ruhig allein.“
„Dann bleiben ja nur noch wir?“, fragte Yuu und grinste.
„Anscheinend“, sagte Ginta sanft und sah zu Shiana.
„Gut! Dann fahren nur wir vier“, lachte Lliam und wandte sich zu den Anderen, „Ihr findet alles was ihr braucht, in der Hütte, ja?“
„Klar“, meinte Sayoko und ging als Erste in Richtung Küche. Die Anderen folgten ihr. Kûosa blieb vor der Hütte und setzte sich hin. Er versuchte gerade mal wieder, sich mit Myu anzufreunden.

„Dann geht es los“, sagte Lliam und schob ein weiteres Gerät aus der Halle.
„Komm!“, sagte Yuu und nahm Shianas Hand, „Wir fahren zusammen, okay?“
Zögernd sah sie Yuu und dann Ginta an. Da dieser nicht reagierte, wahrscheinlich wegen des kleinen Schocks, ließ sie sich von Yuu mitreißen.
„Gut, dann fährst du mit mir“, meinte Lliam und stupste ihn mit dem Ellbogen in die Seite. Dann sagte er leise: „Du magst die Kleine, mh?“
„Was!? Eh… nein und… wenn… dann…“, stotterte Ginta und gestikulierte wild mit den Armen.
„Schon gut“, grinste Lliam und schob Ginta zum Gerät.
„Also hört zu“, fing er an zu erklären, „ich erkläre euch schnell, wie das funktioniert: Lenken geht einfach durch Gewichtsverlagerung! Also müsst ihr immer gut zusammenarbeiten. Das Segel lenkt der, der links sitzt. Der, der rechts sitzt, ist für die Bremse, mit der man ebenfalls lenken kann, zuständig. Alles verstanden?“
„Ich denke schon“, sagte Yuu und Shiana nickte ihm zustimmend zu.
„Ich auch…“, fügte Ginta hinzu und setzte sich auf den rechten Platz.
Lliam schob das Fahrzeug noch etwas von der Hütte weg und Yuu tat es ihm gleich. Dann setzten sich beide hinein und ein starker Wind schob sie sogleich über die Wiese.
Yuu testete ein wenig aus, wie das mit dem Segel funktionierte und merkte, dass so die Geschwindigkeit reguliert wurde. Während sie schon mit einer guten Geschwindigkeit über die Hügel fuhren, testeten sie die Gewichtsverlagerung aus. Lliam und Ginta taten es ihnen gleich.
Es dauerte ein wenig, bis sie sich einfuhren, doch dann hatten sie schnell den Bogen raus und genossen die Fahrt über die Felder.
Yuu und Shiana rollten nur so über die Felder und wurden immer schneller. Es ruckelte etwas, was Shiana zunächst noch unangenehm war. Dann gewöhnte sich Yuu aber mehr an die Steuerungen und die Fahrt wurde sanfter.
„Die sind ganz schön schnell!“, meinte Ginta mit lauter Stimme zu Lliam.
„Da hast du recht“, grinste er und sah sich etwas um, „Sag mal, wollen wir was probieren?“
„Wie meinst du das, mit probieren!?“, wunderte sich Ginta. Dann konnte er es sich aber schon irgendwie denken.
„Halt dich gut fest!“, warnte ihn Lliam.
Beide waren zwar angeschnallt, aber es war trotzdem ratsam sich gut festzuhalten.
Lliam gab nun volles Segel und sie beschleunigten in wenigen Augenblicken auf die Höchstgeschwindigkeit. Durch das Auf und Ab der Hügel kam dann noch zusätzliche Geschwindigkeit auf.
Als dann Lliam auf einen der steilsten Hügel zusteuerte, blieb Ginta die Spucke weg.
So schnell es nur ging, fuhren sie hinauf und wie sie oben ankamen, spürten beide den Boden unter den Rädern nicht mehr. Das Fahrzeug machte einen riesigen Sprung und es sah so aus, als würden sie fliegen. Yuu und Shiana waren stehen geblieben um sich das anzusehen. Ein großer Schatten flog über den Himmel und die beiden mussten sich die Hände schützend vor die Augen halten, nachdem die blendende Sonne wieder zum Vorschein kam.
„JUHU!“, rief Lliam aus und warf seine Arme in die Luft.
„AH!“, schrie Ginta und hielt sich krampfhaft an seinem Sitz fest, „Was machst du da!?“
„Ich genieße den Flug“, lachte er lauthals.
Doch bevor Ginta noch etwas sagen konnte, kamen sie schon etwas unsanft auf dem Boden auf, fuhren aber ohne Probleme weiter.
„Das hat doch Spaß gemacht“, meinte Lliam und kümmerte sich wieder ums Segel.

Nach einigen Runden über die Hügel, hörten die Vier auf zu fahren. Langsam wurde es auch schon dunkel und es war Zeit fürs Abendessen.
In der Halle gab es einen Raum, der eigentlich als reines Esszimmer gebraucht wurde. Matra und Sayoko hatten etwas Leckeres auf den Tisch gezaubert. Jumon saß sich etwas genervt an den Tisch. Anscheinend war es anstrengender auf Tsuru aufzupassen, als er erwartete.
Yuu setzte sich neben Shiana und wünschte ihr einen guten Appetit.
Ginta setzte sich den zweien gegenüber und stocherte erst ein wenig in dem Essen herum, bevor er etwas aß.
„Schmeckt das köstlich!“, stieß es aus Lliam, der vor Begeisterung schon fast vom Stuhl fiel.
„Schmeckt das echt so gut?“, wunderte sich Matra, die eine Augenbraue nach oben zog, „Ich finde das nur mittelmäßig…“
„Was heißt hier mittelmäßig? Wir haben unser Bestes gegeben“, beschwerte sich Sayoko und stopfte sich aus Trotz ein riesiges Stück Brot in den Mund.
„Nicht mal ein Koch mit verbundenen Händen hätte das so gut hinbekommen“, lobte Lliam beide und versuchte nebenher witzig zu sein.
Doch keiner lachte. Enttäuscht aß er weiter.
Jeder redete und plauderte mit jedem, nur Ginta saß da und aß langsam.
Es dauerte dann auch nicht lange und alle waren vollgefressen und machten sich fertig zum Schlafen. Sayoko predigte schon, dass die morgige Strecke sicherlich etwas anstrengend sein würde, weswegen sich die meisten schon freiwillig etwas früher schlafen legen wollten.
Ginta ging noch nicht ins Bett. Da er sich dachte, dass er sowieso wieder nicht richtig schlafen konnte, blieb er gleich auf und machte einen Spaziergang über die Wiesen. Die Sonne war schon fast verschwunden und die intensiven rot und violett Töne erhellten den Himmel ein letztes Mal.
Ginta setzte sich in die Wiese und betrachtete die Wolken. Der Wind fuhr ihm sanft über die Haut. Er ließ sich komplett los und genoss es, an gar nichts denken zu müssen. An wirklich gar nichts.
„Hey Ginta…“, begrüßte ihn Yuu, der sich neben ihn in die Wiese setzte.
„Hey…“, gab Ginta von sich und betrachtete weiter die Wolken.
„Ich wollte noch ein letztes Mal mit dir reden…“, fing der schwarz-haarige plötzlich an.
„Wie, ein letztes Mal?“
„Ich hab mich entschlossen, jetzt langsam nach Hause zu gehen…“, erklärte er und legte sich direkt neben Ginta hin, „…Wohin die Wolken wohl ziehen?“
„Nach Hause also…“, sagte Ginta leise.
„Ja. Ich habe einen Blick auf die Karte geworfen. Und ab hier muss ich in eine andere Richtung als ihr.“
Ginta gab zunächst kein weiteres Wort von sich.
„Außerdem merke ich doch, wie sehr ich dich belaste“, lachte Yuu auf eine sarkastische Weise.
„Was meinst du damit?“
„Das sieht doch ein Blinder…“
„Nein, jetzt wirklich, was meinst du damit?“
„Das brauche ich dir nicht erklären, du kommst da auch von allein darauf.“
„Aber…“
„Ich habe mich von den Anderen schon verabschiedet“, unterbrach Yuu, „Du bist der letzte auf meiner Liste, bevor ich verschwinde…“
„Es war schön dich kennenzulernen“, meinte Ginta und griff fast automatisch nach seinem Amulett. Doch es reagierte nicht.
„Vielleicht sieht man sich ja wieder…“, verabschiedete Yuu sich und stand auf.
„Bestimmt…“
„Vergiss nicht, man trifft sich immer zweimal im Leben. So wie ich meinen Bruder durch euch ein zweites Mal treffen konnte. Bis bald, Ginta…“, waren die letzten Worte von Yuu, bevor er hinter den nächsten Hügeln verschwand.
„Man trifft sich immer zweimal im Leben?“, wiederholte Ginta, „Dann werde ich sie ja wiedertreffen… Oto, Ryoma, Großmutter…“
Er blieb einfach in der Wiese liegen und achtete gar nicht auf die Zeit, die verstrich. Wolke für Wolke zog über den Himmel, der bald voller Sterne war. Die Brise wurde immer kühler, aber Ginta war das anscheinend egal.

„Ginta… Ginta…“, wiederholte eine sanfte Stimme.
Er wurde langsam wieder wach. Shiana kniete sich neben ihn und berührte ihn an seiner Schulter.
„Ginta… wach auf.“
„Ah…“, gab Ginta von sich und setzte sich auf, „Bin ich etwa eingeschlafen?“
„Ja, anscheinend“, sagte sie und setzte sich neben ihn.
Zunächst war es etwas still, da Ginta sich nicht traute, etwas zu sagen.
„Ich wollte schauen, was du machst. Es ist ja schon ein wenig länger her, dass Yuu zu dir gekommen sein muss…“
„Er hat sich schon von mir verabschiedet…“
„Wirst du ihn vermissen?“
„Ich denke schon. Er war ja eigentlich recht nett…“, dann gab es wieder eine kurze Pause, bis Ginta sagte, „Wirst du ihn vermissen?“
„Gute Freunde vermisst man doch immer, oder?“, fragte sie etwas unsicher wirkend.
„Sag mal, Shiana…“, fing Ginta an, „Magst du Yuu?“
Was sollte diese Frage? Ginta hatte sie gerade doch nicht wirklich gestellt? Doch, es war zu spät und er konnte es nicht mehr ungeschehen machen. Sein Herz klopfte etwas schneller und er merkte, wie ihm etwas den Rücken hinunterkroch.
„Natürlich, er ist doch ein Freund…“, antwortete sie ohne groß nachzudenken.
„Nur ein Freund?“, hakte Ginta nach.
„Ginta, was sollen diese Fragen?“, konterte sie.

In der Hütte konnten anscheinend alle anderen nicht schlafen. Sie saßen alle am Fenster und beobachteten, was zwischen Ginta und Shiana vor sich ging.
„Ich höre gar nichts…“, meinte Lliam.
„Sie sind halt zu weit weg…“, stellt Jumon fest.
„Was soll daran spannend sein? Ich gehe wieder ins Bett“, murmelte Matra und verschwand vom Fenster.
„Zum Glück schläft Tsuru, sie würde bestimmt so laut brüllen, dass Ginta und Shiana uns hören würden…“, meinte Sayoko erleichtert.
„Ich finde das eigentlich gar nicht gut, die zwei so zu beobachten…“, warf Jumon ein.
„Aber es macht doch Spaß, oder nicht?“, entgegnete Lliam.
„Ja…“, antwortete der orange-haarige Junge, „Oh, da passiert was!“

„Ich glaube, ich gehe zurück und schlafe, morgen wird ein anstrengender Tag. Das hat Sayoko gesagt…“, erklärte Shiana und stand auf.
„Warte…“, versuchte Ginta sie zu stoppen und griff nach ihrer Hand.
Während er aufstand, merkte er, wie wackelig seine Beine plötzlich wurden. Aber nicht nur seine Beine wurden wackelig, sondern seine Stimme war nicht mehr so klar wie vorher.
„Es tut mir Leid, dass ich diese Fragen gestellt habe, aber…“
Shiana sah ihm nur tief in die Augen. Ginta konnte sich nicht mehr richtig konzentrieren. Er atmete einmal tief ein und aus und sagte dann: „Aber, weißt du… ich mag dich…“
Jetzt war es gesagt.
Aber was sollte er jetzt tun? Vorsichtig strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und beugte sich etwas nach vorn. Shiana konnte gar nicht richtig reagieren, als Ginta ihr dann einen sanften Kuss auf die Wange setzte.

„Haben sie sich jetzt etwa geküsst…!?“, wollte Lliam schon schreien, ihm wurde aber der Mund von Jumon zugehalten.
„Psssst!“, gab er von sich.
„Anscheinend… Ich kann das aber nicht genau sehen“, murmelte Sayoko.
„Vielleicht haben sie sich nur etwas zugeflüstert…“, schätzte Jumon.

In diesem Moment blies ein etwas stärkerer Wind, der einzelne Grashalme vom Boden hinauf in den Himmel trug.
Shiana stand da und sagte zunächst nichts.
„Entschuldigung“, presste Ginta aus sich heraus.
„Wir sollten langsam zurück…“, meinte Shiana, „Es wird allmählich kalt…“
„Ja… gehen wir zurück“, sagte Ginta.
Was hatte er nur getan? Nicht nur, dass sich Shiana anders als sonst verhielt, sondern auch seine Aktion gerade, verpassten ihm ein zu unangenehmes Gefühl. Das konnte nur noch verschlimmert werden, wenn die anderen davon Wind bekommen würden.


Kapitel 53 – Die Forderungen der Vastus Antishal

Es war schon Nachmittag, als Ginta aufwachte. Er tastete vorsichtig seine Umgebung ab, als ob er etwas suchte. Seine Hand erreichte die Tasche, aus der er eine Wasserflasche holte. Dann setzte er sich auf und nahm einen Schluck.
‚Ist denn keiner da?‘, wunderte er sich in Gedanken, ‚Na gut, dann kann ich ja noch weiterschlafen…‘
Er legte sich wieder hin und kuschelte sich unter seine Decke. Nachdem, was am gestrigen Abend passiert war, hatte er einfach keine Lust aufzustehen.
‚Wenn Yuu nicht gewesen wäre… hätte ich das nie zu ihr gesagt‘, sprach er mit sich selbst, ‚Ob es das vielleicht war, das Yuu meinte?‘
Ginta drehte sich auf die andere Seite und sah den Boden und beobachtete wie durch den Wind, die Tür immer etwas auf und zu ging.
‚Tatsache ist, dass ich sie wirklich mag… Aber sie mich jetzt bestimmt nicht mehr. Ob ich alles kaputt gemacht habe?‘
Leise seufzte er. In seiner Brust machte sich ein schweres Gefühl breit, was ihn nicht aufstehen ließ.
‚Ich kann ihr jetzt nicht gegenübertreten…‘

„Wenn wir heute Abend noch in der nächsten Stadt ankommen wollen, dann müssen wir bald los“, seufzte Sayoko, „Danke nochmal, Lliam, dass du uns mitnehmen willst.“
„Kein Ding“, antwortete Lliam, „Ich habe sowieso noch Geschäftliches dort zu erledigen.“
„Müssen wir also echt in diesen Dingern fahren?“, fragte sich Matra schaute etwas böse zu den Fahrzeugen, die Lliam schon mal herausgestellt hat.
„Das wird bestimmt lustig!“, meinte Tsuru und packte Kûosas Tatzen, nur damit sie mit ihm tanzen konnte.
„Sieht wohl so aus“, antwortete Jumon, der mal wieder in ein Buch vertieft war.
„Ach, Jumon…“, sagte Sayoko, „Willst du nicht nach Ginta sehen?“
„Ich? Warum nicht sie…?“, er drehte seinen Kopf und sah Shiana an, die etwas weiter weg auf der Wiese saß und in den Himmel starrte.
„Tue es einfach bitte“, bat Sayoko.
„Gut, dann mache ich es eben…“, stöhnte er, lag sein Buch beiseite und ging in die Hütte.
„Er wird doch wohl keinen Liebeskummer haben, oder?“, wunderte sich Lliam und fing an, die Fahrzeuge zu putzen.

Mittlerweile hat sich auch Myu zu Ginta gesellt und sich auf seinen Brustkorb gelegt. Er kraulte sie und Myu antwortete mit einem entspannenden Schnurren.
„Ach Myu… Was hab ich nur getan?“, fragte er sie und seufzte wieder.
Dann hörte er Schritte. Schnell drehte er sich um, wodurch Myu von ihm herunter viel. Genervt rannte sie aus dem Raum, den Jumon gerade öffnete.
„Ginta? Bist du wach?“, begrüßte er ihn.
„Ach du bist es Jumon…“, murmelte er und drehte sich nicht um.
„Alles in Ordnung mit dir?“
„Jaja… geht schon.“
„Das merk ich, dass es schon geht. Wieso kommst du dann nicht aus dem Bett?“
„Weil ich keine Lust habe…“
„Es ist bestimmt nicht, wegen Yuu, oder?“, fragte Jumon, obwohl er den richtigen Grund kannte.
„Nein.“
„Dann ist es wegen gestern Abend, richtig?“
„Was sollte gestern denn passiert sein?“, entgegnete Ginta kühl.
„Hör zu, wir wissen, was gestern passiert ist…“
„Habt ihr uns etwa beobachtet!?“, stieß es aus Ginta und er setzte sich auf.
„Ja… etwas“, gab Jumon zu, „Es tut uns Leid, das hätten wir nicht machen sollen. Aber ich muss dir sagen, wir haben alle nicht wirklich gesehen, was passiert ist.“
„Nicht? Mh…“
„Willst du darüber reden? Ich verspreche auch, ich sage es den Anderen nicht.“
„Jumon ich…“, fing Ginta an und holte noch einmal tief Luft, „Ich war gestern etwas verwirrt. Yuu meinte, dass er mir im Weg stehen würde. Ich glaube, ich weiß jetzt, was er damit gemeint hat. Als er mit uns für diese kurze Zeit reiste, war er Shiana so nah. Da wurde ich richtig eifersüchtig.“
„Eifersüchtig?“, warf Jumon ein, doch ließ Ginta weitererzählen.
„Ich kann es selbst gar nicht glauben. Aber er hat es mir gezeigt. Du weißt ja selbst, in letzter Zeit ist so viel passiert und ich spüre, dass ich meinem Ziel näher bin, denn je! Das hat mich vielleicht etwas blind gemacht, was mich und meine Gefühle betrifft. Und gestern habe ich wirklich gemerkt, dass ich Shiana sehr mag.“
„Dieses Mögen geht wohl über das normale Mögen hinaus, richtig?“
„Ja… Shiana ist etwas besonderes, das spüre ich einfach…“, erklärte Ginta.
„Ich glaub ich verstehe, wie du dich fühlst. Das ist so ein besonderes Gefühl in dir drin, nicht wahr? Das habe ich auch jedes mal, wenn ich an Sabî denken muss…“, meinte Jumon und schloss für einen kurzen Moment seine Augen.
„Ja… es ist so warm…“, seufzte Ginta auf.
„Und was ist dann gestern Abend passiert?“, wechselte Jumon wieder das Thema.
„Ich habe ihr gesagt, dass ich sie mag. Dann habe ich sie auf die Wange geküsst.“
„Auf die Wange? Dann war es doch ein Kuss“, stellte Jumon fest, „Und danach?“
„Meinte sie, dass wir wieder zurückgehen sollten, was wir dann auch getan haben.“
„Sie hat also nicht reagiert… Verständlich, wieso du jetzt so niedergeschlagen bist.“
„Ach Jumon, weißt du…“
„Nichts ach Jumon!“, unterbrach er ihn plötzlich, „Ginta, du solltest dich in so einer Situation nicht selbst bemitleiden. Das bringt dir doch nichts und Shiana wird vielleicht noch schlechter auf dich zu sprechen sein!“
Ginta schluckte schwer.
„Wenn du es bereust, dass du das zu ihr gesagt hast, dann finde den richtigen Moment und entschuldige dich bei ihr“, erklärte Jumon weiter, „Und wenn nicht, dann warte auf den richtigen Zeitpunkt und sie wird deine Gefühle irgendwann erwidern. Es ist nicht die Zeit, den Kopf hängen zu lassen. Wir sollten weiter reisen, damit du deinem Ziel näher kommst. Und bestimmt wirst du auch ihr näher kommen, so wie du es willst, hab nur Geduld.“
„Danke Jumon“, sagte Ginta leise.
„Was?“, fragte der orange-haarige Junge nach.
„Ich sagte Danke“, sprach Ginta nun mit einer lauteren Stimme, „Du hast vollkommen recht! Ich sollte keinen Trübsal blasen…“
„Zieh dich an, ich sag den Anderen schon mal Bescheid, dass wir bald weiterziehen, ja? Ich warte Unten.“
„Geht klar“, antwortete Ginta und machte sich fertig.

Einige Minuten später, standen alle schon in den Startlöchern.
„Ich möchte, dass die, die die Fahrerfahrung haben, mit denen, die keine haben, fahren, ist das in Ordnung?“, erklärte Lliam, „Dann würden Ginta und Sayoko, Shiana und Matra und ich und die kleine Tsuru miteinander fahren, ja?“
„Und was ist mit mir?“, meldete sich Jumon zu Wort.
„Ah, klar du kannst mit mir fahren, musst halt Tsuru auf deinen Schoß lassen.“
„Was ist mit Kûosa!?“, brüllte Tsuru, die sich Sorgen um ihren Freund machte.
„Das ist eine gute Frage“, grübelte Lliam und hielt sich dabei eine Hand ans Kinn, während er den Hasenbären musterte, „Sag mal, kannst du schnell und lang rennen?“
Kûosa nickte.
„Dann ist das auch geklärt! Wir sollten nur nicht zu schnell fahren…“, meinte Lliam schon fast enttäuscht.
„Dann kann es ja losgehen…“, meinte Sayoko und stieg auf so ein Gefährt.
„Ich hab so etwas von keine Lust darauf“, brummte Matra, die sich neben Shiana saß.
„Das wird bestimmt nicht so schlimm, wie du es dir vorstellst“, versuchte Shiana sie zu beruhigen.
Tsuru setzte sich auf Jumons Schoß und Lliam machte noch die letzten Checks. Als dann alle in den Fahrzeugen saßen und sich Kûosa zum Rennen bereit machte, konnte es endlich losgehen.

Die Fahrt führte sie nun, durch eine eher ebene Landschaft. Da sie ja nicht so schnell fuhren, war es auch weniger holprig, wie erwartet.
Es verging einige Zeit, die Sonne näherte sich schon dem Horizont und es sollte nicht mehr lange dauern, bis sie in der nächsten Stadt ankommen sollten.
Kûosa konnte locker mit den anderen mithalten.
Als die untergehende Sonne dann die Szenerie in ein rotes Leuchten tauchte, kamen sie endlich an einem kleinen, verlassenen Dorf an, das wohl nur noch aus Ruinen zu bestehen schien.
„Was ist denn hier passiert?“, fragte sich Sayoko und sah sich ein paar abgebrannte Häuser an, von denen nur noch Steinmauern standen.
„Oh, habe ich euch das nicht erzählt?“, wand Lliam ein, als sie alle zusammen einen Weg entlang liefen, „Das Dorf wurde vor einiger Zeit angegriffen und tja… Es gibt wohl nur noch wenige Überlebende.“
„Wenige? Wie viele denn?“, hakte Ginta nach.
„Einen“, antwortete Lliam kühl.
„Einen? Einen Überlebenden?“, wunderten sich alle.
„Seht selbst…“, meinte er und blieb stehen.
Die Freunde standen nun auf einem kleinen Hügel und sahen auf einem anderen, kleinen Hügel zwei Personen. Eine Person saß im Rollstuhl und goss einige Pflanzen, die wohl auf einigen Gräbern bepflanzt wurden. Die andere Person stand neben ihr und versuchte zu helfen.
Aber halt. Die stehende Person sah aus, als wäre sie ein Shal. Diese dunklen Klamotten, die Kapuze, das musste einfach ein Shal sein!
„Das waren sie…“, Ginta knirschte mit den Zähnen, „Sie haben das dem Dorf angetan und jetzt wollen sie auch noch dem letzten Überlebenden das Leben nehmen!“
Blitzschnell warf er seine Tasche ab, aus der Myu zuvor noch rechtzeitig herausspringen konnte und nahm sich seine Waffe und stürmte auf diesen Shal zu.
„Halt!“, wollte Sayoko noch hinterher rufen, doch Lliam hielt sie auf.
„Das passt schon“, meinte er und grinste. Die Anderen waren nur noch verwundert.
Ginta sprang zwischen den Grabsteinen hin und her und rief: „Geh weg von ihm!“
Er erkannte, dass die Person in Rollstuhl ein Junge war, der bestimmt nicht älter war als er selbst, so sah es zumindest aus.
Der Shal stand seelenruhig da und wartete, bis Ginta angriff.
Ginta holte kräftigen Schwung und versuchte den Shal zu treffen, doch dieser hatte im nächsten Moment schon einen Stab gezogen, an dessen einem Ende eine Kugel befestigt war. Dann sprang der Shal zurück und versuchte Ginta von dem Jungen wegzulocken.
Sayoko zückte ihren Dolch und wollte mit einschreiten, doch Lliam hielt sie auf.
„Wir müssen etwas tun…“, meinte Jumon und wollte schon losstürmen.
„Habt keine Sorge. Das ist kein Shal…“, sagte Lliam und ging zu dem Jungen im Rollstuhl.
„Wie, das ist kein Shal?“, fragte sich Jumon und sah die Anderen ratlos an.
Sayoko zuckte nur mit den Schultern.
„Und was jetzt?“, meldete sich Matra zu Wort, die nicht einfach nur herumstehen wollte.
„Oh, da tut sich was!“, bemerkte Tsuru plötzlich.

In diesem Moment machte der Shal, der anscheinend keiner war, eine komische Bewegung und entwaffnete Ginta im nächsten Augenblick. Ginta fiel zu Boden und sein Gegner hielt ihm bedrohlich seinen Stab vor sein Gesicht.
„Was willst du hier!?“, rief Ginta aufgebracht.
„Die Frage ist, was du hier willst…“, antwortete eine Männerstimme.
„Ich versuche den Jungen vor dir zu retten!“, entgegnete Ginta.
„Du und ihn retten? Dass ich nicht lache! Du schaffst es ja nicht einmal, mich zu besiegen.“
„Hört auf!“, brüllte plötzlich der Junge im Rollstuhl.
Der Nicht-Shal nahm seine Kapuze ab. Es war ein junger Mann, mit mittellangen, stachlig-zerzausten Haaren und einer Narbe am rechten Auge. Er musste wohl so um die Mitte 20 sein.
Dann beugte er sich zu Ginta vor und half ihm hoch.
„Kein Wort über die Shal, wenn wir mit dem Jungen reden, klar? Sonst passiert dir noch was“, flüsterte er Ginta drohend ins Ohr.
„Danke, dass du die Zwei unterbrochen hast, Requell. Sonst wäre das noch schlimm ausgegangen, so wie ich meinen Boss kenne…“, bedankte sich Lliam beim Jungen im Rollstuhl.
„Lliam, du weißt doch, dass du mich nicht so nennen sollst“, begrüßte der Schwarzhaarige Lliam.
„Okay, Riven. Ehm, darf ich dir vorstellen? Ginta Sabekaze, wie ich ihn dir beschrieben habe, richtig?“
„Er hätte nicht impulsiver sein können. Wobei mir Kyrmoo versichert hat, dass er eigentlich ein ruhiger Junge wäre“, stellte Riven fest.
„Was ist hier los!?“, brüllte Ginta.
„Sei du doch still!“, machte ihn der Junge im Rollstuhl an, „Was fällt dir ein, Riven einfach so anzugreifen!?“
„Ich… ich dachte er…“
„Ginta wollte dich nur schützen“, erklärte Sayoko, die mit dem Rest langsam näher kam.
„Vor was denn? Jemand sollte mich vor dem da schützen…“, beschwerte der Junge sich wieder.
Er war ein magerer Kerl, mit silbern-weißen, mittellangen Haaren. Er hatte einen wirklich griesgrämigen Blick drauf. Sein Oberkörper war nackt und an seiner Brust war anscheinend so etwas wie ein Reißverschluss befestigt.
„Beruhige dich, Requell“, meinte Riven mit tiefer Stimme.
„Darf ich vorstellen?“, fing Lliam an, „Das hier ist Requell. Und der dunkle Typ da ist Riven Kire Anbibarensu, der Gründer.“
„Endlich lerne ich euch kennen“, begrüßte er die Anderen.
„Wieso trägst du die Klamotten eines Sh…“, fragte Ginta.
Doch bevor er seine Frage beenden konnte, packte Riven Ginta am Kragen.
„Ich sagte doch, du sollst sie nicht erwähnen…“, drohte er ihm und sah tief in seine Augen.
Dann ließ er Ginta wieder los.
„Was wird hier gespielt?“, wandte Sayoko ein.
„Gespielt?“, lachte Lliam, „Eigentlich gar nichts.“
„Dann erkläre uns doch einmal, was hier los ist…“, forderte Jumon.
Riven sah zu Lliam und drehte den Kopf etwas. Lliam nickte nur und fuhr Requell durch die Gegend.

Riven wartete ab, bis die Zwei nicht mehr in hörbarer Weite waren.
„Wie ich schon vorgestellt wurde, mein Name ist Riven Kire. Gehen wir doch ein wenig…“, schlug er vor und lief in eine andere Richtung, als Lliam und Requell es taten.
„Ich bin Anführer einer Organisation, die sich Vastus Antishal nennt, eine Bewegung gegen die Bedrohung, die die Shal darstellen.“
„Du bist also ein Mitglied, einer Organisation die Shal bekämpfen?“, fragte Jumon.
„Ich bin kein Mitglied, ich bin der Anführer, hörst du nicht richtig zu?“
Nun war Ginta mit Fragen an der Reihe: „Warum trägst du dann diese Klamotten?“
„Ginta Sabekaze, es ist leichter seinen Gegner zu besiegen, wenn man ihn kennt, nicht wahr? Ich bin den Shal beigetreten, um sie von innen heraus besiegen zu können.“
„Du bist ihnen beigetreten!? Spinnst du etwa!?“, brüllte Ginta plötzlich, „Wie kannst du einer Organisation beitreten, gegen die du eigentlich kämpfst? Ich versteh das nicht!“
„Ginta, beruhige dich…“, versuchte Sayoko ihn zu beruhigen.
„Verstehst du das denn etwa nicht?“, sagte Matra, „Er ist doch nur beigetreten, um sie besser zerschlagen zu können… Es heißt ja nicht gleich, dass er ebenfalls Menschen tötet.“
„Mh…“, meinte Ginta nur dazu.
„Und wer ist dieser Junge?“, erkundigte sich Sayoko.
„Der war voll böse zu Ginta!“, brüllte Tsuru.
„Psst, sag so etwas doch nicht, Tsuru“, meinte Shiana.
„Requell? Er ist der einzige Überlebende, aus diesem Dorf.“
„Was ist passiert?“
„Die Shal haben einen Angriff gestartet. Sie plünderten die ganze Stadt und klauten, was sie nur finden konnten. Kein Mensch der sich ihnen in den Weg stellte, blieb verschont. Bis auf Requell, der nicht nur seine Familie und Freunde, sondern auch seinen Arzt verlor.“
„Ist er etwa krank?“, fragte Shiana.
„Er hat eine seltene Krankheit, bei dem sich sein Körper langsam kristallisiert. Es ist eine seltene Krankheit. Sie lässt ihn nicht mehr älter werden, aber trotzdem ist sein Körper zerbrechlicher als der, eines alten Mannes. Er sieht aus wie 13, nicht wahr? Dabei ist er schon 3 Jahre älter.“
„Also älter als Ginta…“, stellte Sayoko fest.
„Damals bei dem Angriff kam ich zu spät. Ich konnte niemanden mehr retten. Die Shal ließen ihn am Leben, weil er diese Kristalle in sich beherbergt. Ich sorge dafür, dass er lebt und die Kristalle in regelmäßigen Abständen entfernt werden.“
Ginta verstand langsam, was passiert war und wieso Riven so handelte. Er kümmerte sich nicht nur um den Jungen, wegen seiner Krankheit. Es war bestimmt auch, weil Riven sich schuldig fühlte, die anderen nicht gerettet zu haben.
War Riven doch nicht so ein schlechter Kerl, wie er vorerst annahm?
„Lliam ist also auch Mitglied, dieser Organisation, wie hieß sie nochmal?“, bemerkte Sayoko.
„Die Vastus Antishal, kurz VΞA. Ja, ist er. Lliam McScrew ist die Nummer Fünf. Er ist damals beigetreten, nachdem seine Frau und sein Kind von den Shal umgebracht wurden. Es war ein Unfall. Trotzdem kann man das den Shal nicht verzeihen. Es war schwer ihn wieder zu ermutigen, doch ich denke, er hat wieder ein Licht in seinem Leben gefunden.“
„Wie traurig…“, meinte Jumon, „Dabei ist er doch eher ein aufgedrehter und lustiger Typ…“
„Er ist unser Mann, was Fortbewegung angeht. Er hat überall auf den Kontinenten verschiedene Verleihe, die eigentlich nur Tarnung für unsere Fortbewegungsmittel sind“, erklärte Riven und blieb auf einer freien Wiese stehen.
„Erzähl mir mehr, von VΞA“, forderte Ginta.
„Nachdem ich viel Kontakt mit den Shal hatte und sah, was sie so taten, schwor ich mir Rache gegenüber den Shal. Ich gründete die VΞA, weil ich merkte, dass es einen Widerstand geben muss! Ich wollte die Menschen retten, die in meiner Umgebung getötet und terrorisiert wurden. Ich wollte den Menschen zeigen, dass sie sich wehren können. Auf meinen Reisen habe ich einige Menschen kennengelernt. Mit mir, gibt es bisher sieben Mitglieder und zahlreiche Unterstützer.“
„Das ist richtig beeindruckend“, sagte Jumon und auch die Anderen stimmten mit ihm überein. Nur nicht Ginta. Er war sich immer noch sehr unschlüssig, was er über die ganze Sache denken sollte.
„Nun zu euch“, wechselte Riven das Thema, „Ihr werdet auch gegen die Shal kämpfen, nicht wahr?“
„Ja! Ich werde mich rächen dafür, was die Shal den Menschen antut!“, rief Ginta heraus.
„Du willst also ganz allein gegen die Shal antreten?“, lachte Riven.
„Ich schaffe das schon irgendwie…“, nuschelte Ginta beleidigt.
„Ginta Sabekaze, ich möchte euch herausfordern.“
„Uns herausfordern? Wie meinst du das?“
„Ich möchte, dass jeder von euch, gegen einen meiner Freunde kämpft. Wenn ihr uns nicht besiegen könnt, dann schafft ihr es gegen die Shal auf gar keinen Fall.“
„Stimmt, die Shal werden nicht schwächer…“, meinte Sayoko und sah Ginta fragend an.
„Damit du dich leichter entscheiden kannst“, fing Riven an und stellte sich hinter Shiana, „Kümmere ich mich in der Zwischenzeit um sie hier… Wenn es dir angenehm ist, Shiana.“
„Ich…“, sagte sie.
„Tue es für Ginta“, flüsterte er in ihr Ohr und auf magische Weise hörte sie auf ihn.
„Ginta, es ist das beste, wirklich…“, sagte sie nun plötzlich.
„Shiana… was… Na gut! Dann nehme ich die Herausforderung an… Aber nur, wenn wir gleich gegeneinander antreten.“
„Wie du willst…“, sagte Riven und berührte Shiana noch kurz an der Schulter, „Macht Platz. Der große Ginta will nun gegen mich kämpfen!“
Die Freunde gingen einige Schritte zurück und setzten sich auf die Wiese.
„Findest du das nicht etwas zu übertrieben, Sayoko?“, wunderte sich Jumon.
„Nein. Ich finde, das ist das richtige Training für uns alle…“
„Ich hab keine Lust darauf…“, brummte Matra.
„Da musst du wohl jetzt durch…“, entgegnete Sayoko, „Ist mit dir alles in Ordnung, Shiana?“
Shiana saß still da und sah Ginta zu: „Ja…“

Der Kampf fing an. Ginta zog sein Kesobou und Riven holte wieder seinen Stab hervor.
Ginta stürmte auf seinen Gegner zu und versuchte ihn, mit seiner Waffe zu stechen. Doch Riven wich unentwegt aus. Es gab keine Chance für Ginta ihn zu treffen, egal wie er seine Waffe schwang.
Dann fing der Stab von Riven zu leuchten an, zumindest die Kugel am Ende davon. Blitzschnell rammte er die Kugel in den Bauch von Ginta und eine Art Energieladung schoss dort heraus. Für einen kurzen Moment schien es so, als würde Ginta schweben, dann wurde er mit voller Kraft gegen einen Baum geschleudert und fiel zu Boden.
Zitternd richtete er sich wieder auf und spuckte erst einmal Blut auf den Boden.
„Ginta!“, rief Shiana aufgebracht.
„Keine Sorge, Ginta schafft das schon…“, ermutigte Sayoko sie.
Ginta wischte sich den Dreck von den Hosen und fing an, seinen Stab um sich herum zu drehen. Langsam bewegte er sich auf Riven zu. Plötzlich bewegte er sich schneller und griff Riven von allen Seiten an.
„Man muss dich also nur reizen!“, lachte Riven und provozierte ihn dadurch mehr, „So wirst du Shiana von mir nie zurück bekommen!“
„Wenn du sie noch einmal anfasst…“, murmelte Ginta während die Wut in ihm hochstieg.
Er knirschte die Zähne zusammen, damit er nicht noch mehr kochte, als er es schon tat.
„So willst du also deine Großmutter rächen…?“, lachte Riven wieder.
„Halt die Klappe!“, brüllte Ginta.
„Jetzt dreht er etwas ab…“, bemerkte Lliam, der sich zu den Freunden setzte.
„Wo ist Requell?“, fragte Jumon.
„Ich habe ihn in seine Hütte gebracht, er schläft gerade, weil es ihm nicht so gut geht.“
„Der Arme…“, flüsterte Shiana und betrachtete wieder den Kampf.
„Seid meinem Boss bitte nicht böse, ja? Er möchte nur etwas aus Ginta herauskitzeln…“
„Sag mal“, warf Sayoko ein, „Wie kann es eigentlich sein, dass ihr so viel über uns wisst?“
„Oh, die Schuld kannste dem Boss in die Schuhe schieben. Wenn irgendetwas passiert, was die Shal betrifft, ist er einer der ersten, die es erfahren. Er hat Recherchen gemacht und ihr seid nicht die unbekanntesten Gegner, der Shal, wisst ihr.“
„Sie wissen so viel über uns?“
„Nicht wirklich. Sie wissen nur, dass es euch gibt, genaueres nicht wirklich. Den Rest hat Riven alles von Freunden und Helfern erfahren.“
„So ist das also…“

Verzweifelt versuchte Ginta immer noch, Riven zu treffen, aber er schaffte es einfach nicht. Er blockte Gintas Angriffe mit seinem Stab ab oder lenkte sie um. Es gab keine Chance.
Ginta sprang einige Meter zurück und so tat es sein Kontrahent. Er kniff die Augen zusammen und versucht wieder den Wind in sich zu fühlen. Im nächsten Moment ließ Ginta einen Wirbelwind auf Riven los, der ihn etwas in die Luft trug. Doch er konnte sich noch an einem Ast festhalten und sprang wieder zu Boden.
„Du willst es einfach nicht schaffen, oder?“, fragte Riven.
„Jetzt reicht es mir!“, brüllte Ginta und warf sein Kesobou auf den Boden. Er war so wütend, dass er nicht mal merkte, dass seine Hände schon wieder leuchteten. Er merkte es auch genauso wenig, wie das Leuchten seiner Hände sich entflammte und sich über seine ganzen Arme ausbreitete.
Die blau-türkisen Flammen brannten nun von den Fingerspitzen bis zu seinen Schultern. Ginta wusste gar nicht mehr richtig, was geschah. Er merkte nur noch, wie er seine Arme nach vorne richtete und einen gewaltigen Wirbelsturm losließ, der gemischt mit den blauen Flammen einen mächtigen Angriff darstellten.
Dann wurde ihm schwarz vor Augen und er fiel in Ohnmacht.

„Das war es…“, erklärte Riven, der Ginta über seiner Schulter trug, „Hätte er mich getroffen, wäre ich definitiv K.O. gegangen.“
„Was ist mit ihm passiert?“, wunderten sich seine Freunde.
„Das ist wohl seine Fähigkeit. Aber er hat viel zu viel Kraft verbraucht. Er muss sich nur ausruhen, dann geht es ihm bestimmt besser. Ich bringe ihn in meine Hütte und lege ihn schlafen.“
„Kyrmoo wird euch zeigen, wo ihr schlafen könnt“, meinte Lliam, als Riven am gehen war.
„Kyrmoo? Wer ist das?“, fragte Sayoko.
„Das bin ich. Kyrmoo E. Isurando ist mein Name. Ich bin Nummer Drei der VΞA“, stellte sich eine Frau vor, mit hellblonden, langen Haaren, die eine sehr auffällige Mütze trug, „Kommt mit. Bevor ich es vergesse. Morgen gibt es die Kämpfe gegen Lliam und mich. Das ist der persönliche Wunsch von Riven, klar?“
Doch keiner antwortete.


Kapitel 54 – Ryomas Kampf

Eine in dunklen Gewändern gehüllte Person streifte durch einen Wald. Langsam ging sie mitten hindurch, ohne den Weg zu befolgen und achtete gar nicht, auf was sie trat.
Das Knacksen der Zweige, die auf dem Boden lagen, störte sie anscheinend nicht.
Die Person hatte einige Dokumente unter dem Arm. Erleichtert seufzte die Person auf, als sie endlich an einer Holzhütte ankam.
„Hat ja lang genug gedauert, das hier zu finden…“, sagte er mit einer männlichen Stimme.
Vorsichtig öffnete der Mann die Tür und lugte hinein. Er musste sich versichern, dass dort keiner war.
Der Mann setzte sich auf einen Stuhl und nahm seine Kapuze ab. Dann kramte er einige Kerzen aus einer Schublade und zündete sie mithilfe von Streichhölzern an.
Im Kerzenschein erkannte man Ryoma.
„Endlich habe ich die Möglichkeit herauszufinden, wer du wirklich warst…“, murmelte er vor sich hin und öffnete eine Mappe mit Dokumenten.
Dann las er vor:

Kenma Sakamoto wurde am 12.09. festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt. Er wurde verdächtigt, einen Anschlag auf das Rathaus auszuüben. Während der Festnahme fand man Bombenleger-Werkzeuge, die ihn als Täter eindeutig bestimmen.
Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Fingerabdrücke auf den Tatwerkzeugen und den versteckten Bomben mit seinen übereinstimmten.
Immer wieder bestritt Kenma Sakamoto die Schuld an der Tat. Um dies noch zu verdeutlichen, startete er ab dem zweiten Tag der Untersuchungshaft einen Hungerstreik.
Während den Befragungen machte er immer wieder deutlich, unschuldig zu sein, konnte dies aber jedoch nicht beweisen. Er erläuterte keine weiteren Informationen. Familie, Arbeit, oder sonstige Informationen wie Geburtsdaten konnten auch nach eindringlichsten Befragungen nicht herausgefunden werden.

„Vater war ein Bombenleger?“, wunderte sich der Mann und blätterte weitere Dokumente durch.

Am zehnten Tag der Untersuchungshaft verschwand Kenma Sakamoto spurlos. Es wurden keine Ausbruchsspuren festgestellt.


Er blätterte weiter und sah sich die letzte Seite an.

Drei Tage nach verschwinden von Kenma Sakamoto konnte ein Verdächtiger gefasst werden. Er arbeitete als Wärter und ließ Kenma Sakamoto mutwillig frei. Er steckt nun in Untersuchungshaft. Informationen über Aufenthaltshort des Attentäters konnten nicht entlockt werden. Der Täter wiederholte dafür immer wieder einen Satz: „Man kann die Shal nicht aufhalten.“
Bei den „Shal“ handelt es sich anscheinend um eine geheime Organisation. Mehr ist darüber nicht bekannt.

„Es war doch die richtige Entscheidung, ihnen beizutreten…“, sprach Ryoma zu sich selbst, „Ich werde dich finden, Vater…“
Plötzlich klopfte es an der Tür. Hektisch blies der Mann die Kerzen aus und steckte die Dokumente unter seinen Mantel.
Es klopfte wieder und der Mann griff schon einmal nach seinem Schwert, das auf seinem Rücken gebunden war.
Langsam öffnete sich die Tür und ein anderer Mann sprach: „Mein Name ist Ethal Nokinnon. Ich bin Mitglied der Vastus Antishal, eine Widerstandsgruppe gegen die Organisation der Shal. Ryoma Sakamoto, ich weiß, dass du hier drin bist und ich kenne deine wahren Absichten. Ich fordere dich offiziell zum Kampf heraus, nachdem dies der Auftrag meines Anführers Riven Kire Anbibarensu ist. Komm heraus, sonst setze ich die Hütte in Brand.“
„Das wird nicht nötig sein“, sprach Ryoma, der sich hinter der Tür versteckt hat, „Ich komme schon.“
Vorsichtig ging er aus dem Haus. Vor ihm stand ein etwa 1,75m großer Mann, mit einem tiefschwarzen Pilzkopf und einem auffälligen Schal, der sich nach oben bog. Er stützte sich auf ein großes Zweihänderschwert.
„Du willst ein Duell?“, fragte sich Ryoma.
„Mein Auftrag ist es, dich zu testen“, erklärte er ganz formell.
„Was ist das für ein Test?“, entgegnete Ryoma, während er sein Schwert langsam aus der Scheide zog.
„Keine Sorge, es ist nur ein Test, ob du mich besiegen kannst. Ginta und seine Freunde werden gerade auch einem Test unterzogen.“
„Ginta auch…“, murmelte er.

„Bist du bereit?“
„Da ich nicht anders kann, bin ich es!“, brüllte Ryoma und stürmte auf Ethal zu.
Ethal hob mit einer Leichtigkeit sein Schwert und blockte die ersten Angriffe Ryomas locker ab. Dann warf Ethal sein Schwert senkrecht in die Höhe und in der Sekunde, in der sich Ryoma wunderte was sein Gegner da tat, stand er schon hinter Ryoma und trat ihn, sodass er zu Boden fiel.
Dann sprang der Pilzkopf in die Höhe, fing sein Schwert wieder auf und stürzte auf Ryoma hinab, der den kommenden Angriff noch rechtzeitig blockte.
Sie tauschten noch einige Angriffe und Konter aus, bis Ryoma sich mit einer Hand am Dach der Hütte festhielt, sich hinaufzog und mit einem Handstand auf dem Dach landete. Er richtete sich auf und legte eine kurze Verschnaufpause ein.
„Du bist nicht schlecht!“, rief er doch sein Gegner reagierte darauf nur gelassen.
„Ich bin der beste…“, entgegnete Ethal kühl.
„Das werden wir noch sehen…“, meinte Ryoma und holte ein Streichholz heraus.
‚Also Ryoma, du hast geübt, du weißt, dass du das kannst‘, sprach er in Gedanken zu sich selbst und ermutigte sich, ‚Konzentriere dich nur darauf und du schaffst es…‘
Er zündete das Streichholz an und hielt es vor sich. Dann warf er es in die Höhe.
„Du schaffst es!“, ermutigte er sich nun laut.
Konzentriert wartete er den richtigen Augenblick ab und zerteilte das Streichholz in Zwei, wodurch plötzlich sein Schwert anfing zu brennen.
„Ich habe es doch gewusst!“, rief er stolz und schwenkte sein Schwert etwas hin und her, „So macht es doch gleich viel mehr Spaß!“
Im nächsten Augenblick sprang Ethal auch auf das Dach.
„Wie ich sehe, hast du seltene Techniken drauf“, erklärte er und zeigte mit seinem Zweihänder auf Ryoma, „Ich aber auch!“
Ein Klicken war zu hören und im nächsten Augenblick spaltete sich Ethals Schwert längs. Nun hatte er ein Schwert, mit zwei Klingen an einem Griff.
„Zwei Klingen? Sieht nett aus“, meinte Ryoma und startete seinen Angriff.
Nun tauschten sie viel schneller ihre Schläge und Hiebe aus. Ethal merkte, dass Ryoma nun stärker war als vorher.
Es gab jedes Mal ein lautes Knallen, wenn sich die Klingen trafen. Die Tiere im Wald versteckten sich oder rannten Weg. Dieses Geräusch störte die Ruhe des Waldes und die innere Ruhe von Ethal.
Ganz flüssig in seine Angriffe übergehend, fing er jetzt an, nicht mehr direkt auf Ryomas Schwert zu schlagen, sondern versuchte es in einer seidig-glatten Bewegung abzulenken.
Ryoma tat sich schwer damit, noch die Kontrolle über sein Schwert zu behalten.
Doch dann sprang er zurück und schleuderte einige Flammen auf Ethal, die er gerade noch abwehren konnte.
Leider fing das Dach der Hütte an zu brennen und brannte sozusagen einige Löcher hinein, durch die Ryoma und Ethal fielen. Es dauerte wenige Augenblicke, da stand die ganze Hütte in Flammen.
Der Kampf weiter.

Durch den Rauch, der sich in der Hütte entwickelte, wurde die Sicht der Schwertkämpfer drastisch verschlechtert. Nun glich der Kampf eher einem wilden Herumgestochere, bis zu dem Moment, in dem Ryoma von einer Klinge getroffen wurde. Es war sein linker Arm, der auch noch zu bluten anfing. Ethal hatte ihm eine Wunde zugezogen.
„Das bekommst du zurück!“, hustete Ryoma.
Der Rauch wurde immer dichter und auch Ethal fing an zu husten.
Dann sah Ryoma seine Chance und holte aus. Es war ein Moment, in dem Ethal ungedeckt war, während er versuchte, nicht mehr zu Husten. Mit einem kräftigen Schwung griff Ryoma an.
Doch es traf nicht Ethal, sondern einen brennenden Balken, der auf ihn zu herabstürzen drohte. Der Balken wurde in mehrere Teile zerstückelt und fiel einfach zu Boden.
„Mir reicht das hier!“, brüllte Ryoma und packte Ethal an der Hand. Die Tür war auch schon durch mehrere Balken versperrt, deswegen blieb nur noch ein Ausweg: das Fenster.
Ryoma packte den Stuhl und zerschmetterte die Glasscheibe und sprang zusammen mit Ethal ins Freie. Ethal setzte sich auf den Boden und hustete noch ein wenig, während Ryoma versuchte, das Feuer zu stoppen. Er sog die Flammen teilweise mit seinem Schwert ein, andere Flammen trat er aus oder bedeckte sie mit reichlich Erde.

„Was soll der Spaß hier?“, meinte Ryoma, nachdem das Feuer aus war, „Hab ich dir nicht genug bewiesen?“
Ethal stand auf und klopfte sich den Dreck von der Kleidung.
„Weswegen ist dieser Test überhaupt?“, wunderte sich Schwertkämpfer.
„Unser Anführer will wissen, ob ihr stark genug seid, wenn ihr gegen die Shal antretet“, antwortete sein Gegenüber kühl.
„Gegen die Shal… Wie du siehst…“
„Wie ich sagte, ich kenne deine wahren Absichten, Ryoma Sakamoto“, unterbrach ihn Ethal, „Hör zu: die Shal kommen bald zu ihrem Finale, wenn sie nicht aufgehalten werden, wird die ganze Welt vernichtet. Ryoma Sakamoto, deine Freunde brauchen dich, die Vastus Antishal brauchen dich und vor allem Ginta braucht dich…“
„Ginta braucht mich?“
„Ja“, antwortete Ethal und schüttelte sich, „Ist ja widerwärtig so emotional zu sein…“
„Ehh…jaaaa…“, murmelte Ryoma und kratzte sich am Hinterkopf.
„Bevor ich weiterziehe, beantworte mir eine Frage: hast du von einem Kenma Sakamoto gehört? Er soll Mitglied der Shal sein…“, fragte Ryoma.
„Mir sind keine Informationen über diesen Kenma Sakamoto bekannt.“
„Irgendwie werde ich dich schon finden, Vater…“, murmelte Ryoma und verschwand im Wald.
„Auftrag erfüllt, dann werde ich wohl zurück zum Stützpunkt gehen…“, meinte Ethal und verschwand auch.

 


Kapitel 55 – Doppelkampf! – Sayokos und Matras Herausforderung

Langsam stieg die Sonne immer höher. Zärtlich weckten die ersten Sonnenstrahlen, die durch die dicken Wolken kamen, die Tiere auf, die sich auf Nahrungssuche machten.
Es war eine komische Nacht für Ginta gewesen. Lange konnte er nicht schlafen, dann wachte er auch noch auf und musste erst einmal überlegen was passiert war. Wahrscheinlich wurde er im Kampf ohnmächtig. Eine andere Erklärung konnte er dafür nicht finden. Während er schon einmal wach war, konnte er sich Gedanken zu diesen Vastus Antishal machen. Was war das für eine komische Organisation, die einfach aus dem Nichts zu kommen schien?

Er setzte sich auf und merkte, dass die anderen auch schon wach waren.
„Guten Morgen“, begrüßte er sie liebevoll.
„Morgen Ginta“, grüßte ihn Jumon zurück.
„Wie geht es euch so?“, fragte der Junge mit den weißen Haaren.
„Ganz gut!“, kicherte Tsuru, die auf Kûosas Bauch sprang und ihn aufweckte, „Kûosa, wach auf, wach auf!“
„Hab etwas Kopfschmerzen…“, seufzte Sayoko, die etwas grimmig zu Tsuru schaute.
Die anderen setzten sich nur auf und zuckten unschlüssig mit den Schultern.
„Diese Widerstandsgruppe…“, fing Sayoko an, „Bereitet dir etwas Kopfzerbrechen, nicht wahr?“
„Woher weißt du das?“, wunderte sich Ginta und kratzte sich verlegen am Kopf.
„Das kann man dir sofort ansehen“, lachte Jumon.
„Ach, ich weiß nicht…“, seufzte Ginta auf, „Irgendwie ist dieser Riven schon… er ist irgendwie schon viel weiter als ich.“
„Wie meinst du das, ‚viel weiter‘?“, wunderte sich Jumon.
„Schau dir doch mal an, was er aufgebaut hat… eine organisierte Gruppe, die aktiv gegen die Shal kämpft.“
„Aber Ginta, wir kämpfen doch auch aktiv gegen sie, oder?“, versuchte ihn Sayoko umzustimmen.
„Nicht auf die Art, wie sie es tun“, wandte er ein.
„Was ist jetzt dein Problem?“, meinte Matra, „Sie tun ihr Ding und wir unseres. Ich verstehe nicht, wie du dich da so aufregen kannst.“
„Mhh“, murmelte Sayoko laut.
„Ist schon okay, Sayoko. Ich verstehe schon…“, sagte Ginta und verschwand aus der Hütte.
„Ginta, jetzt warte doch!“, rief ihm Sayoko hinterher, „Toll Matra… Jetzt ist er beleidigt…“
Matra schaute jedoch nur gleichgültig, als ob es ihr egal wäre.
„Sayoko, solche fürsorglichen Seiten kenne ich noch gar nicht von dir“, grinste Jumon und fing sich kurze Zeit später von ihr eine Kopfnuss ein.
„Sei still! Und Matra, du kommst jetzt mit und entschuldigst dich bei ihm…“, befahl sie und zerrte Matra mit nach draußen.
„Guten Morgen, Mädels!“, wurden die beiden von Lliam begrüßt, der sie mit Kyrmoo schon erwartet hatte, „Ihr erinnert euch doch noch an gestern Abend, richtig? Wir hätten da noch was mit euch offen…“
„Wir zwei fordern euch zum Kampf heraus“, sagte Kyrmoo kühl, während sie ihre Arme vor ihrer Brust verschränkte.

In der Zwischenzeit kam durch einen anderen Eingang, Riven in die Hütte.
„Guten Morgen“, begrüßte er alle, „Wo ist Ginta?“
„Er ist raus gegangen, braucht wohl etwas Zeit für sich…“, erklärte ihm Jumon.
Dann setzte sich Riven zu Jumon, Shiana und Tsuru.
„Möchtet ihr später mit zu Requell kommen? Der Junge ist etwas allein, ein wenig Gesellschaft könnte ihm nicht schaden“, schlug Riven vor.
Es schien so, als wäre er gar nicht mehr so arrogant und provozierend wie gestern.
„Klar, wieso nicht…“, meinte Jumon, nachdem er prüfend zu den anderen schaute.
„Es tut mir Leid, dass das alles so Schlag auf Schlag kommt“, entschuldigte sich Riven, „Aber es geht einfach auf keine andere Weise.“
„Ist schon in Ordnung“, verzieh ihm Shiana, die ihn lieb anlächelte, „Du machst es doch nur für Ginta und uns, nicht wahr?“
„Ihr wisst gar nicht, was auf euch noch zukommt. Die Shal sind so mächtig, dass sogar wir bisher nur wenig ausrichten konnten. Seid ihr euch wirklich sicher, dass ihr Ginta helfen wollt? Es könnte euer Leben auf dem Spiel stehen…“
„Zusammen werden wir das schon schaukeln“, antwortete Jumon.
„Ich weiß, wenn wir Ginta unterstützen, werden wir es schaffen…“, meinte Shiana.
„Und es macht einen riesigen Spaß!“, brüllte Tsuru während sie auf Kûosa herumhüpfte.
„Kommt mit… ich bringe euch zu Requell…“, sagte Riven und stand auf.

Zur selben Zeit standen vier Personen auf einer weiten Wiese.
„Wenn wir es schnell hinter uns bringen, habe ich nichts dagegen…“, seufzte Sayoko und zückte schon einmal ihren Dolch.
„Auf geht’s…“, brummte Matra und hielt zwei Äxte kampfbereit in den Händen.
„Wie ihr es wünscht…“, sagte Kyrmoo und ballte ihre Fäuste.
„Das wird bestimmt ein Spaß! Aber nicht, dass das so unfair wird wie ein Kampf zwischen einem Sumoringer und zwei Blumenmädchen…“, lachte Lliam.
„Ein Sumoringer!?“, brüllte Kyrmoo und verpasste Lliam einen Tritt in die Seite.
„Autsch… Es tut mir Leid…“, röchelte er und stand wieder auf. Dann nahm er zwei Dolche heraus, um deren Übergang von Klinge zu Griff Ketten herumgewickelt waren.
Kyrmoo stürmte als erste los. Es war ein Wunder, dass sie in ihrem Kleid so schnell rennen konnte.
Mit geballten Fäusten schlug sie auf Sayoko ein, die echt viel Mühe aufbringen musste, jeden der Schläge mit der Klinge ihres Dolches zu blocken. Zudem kamen auch noch steinharte Kicks hinzu, die Sayoko erst einmal einstecken musste.
Im nächsten Moment hatte Lliam seine Kettendolche gelockert und schleuderte die Klingen an einer langen Kette im Kreis umher. Matra hielt ihre Äxte verteidigend vor ihren Körper. Doch Lliam schleuderte die Klingen nach vorn und wickelte sie ein paar Mal um Matras Äxte. Er zerrte an ihnen und versuchte sie zu sich zu ziehen, doch Matra war stark genug Stand zu halten. Sie zog einmal kräftig und beförderte Lliam in die Luft.
Sayoko sah in einer Sekunde die kurze Chance anzugreifen und stach mit ihrem Dolch zu. Kyrmoo sprang aber in die Luft und kombinierte ihr Ausweichmanöver mit Lliams unkontrollierten In-der-Luft-Fliegen. Sie packte seine Füße und schleuderte ihn so um Matra herum, dass er im Flug noch Sayoko treten konnte.
Matra und Sayoko verloren kurz ihr Gleichgewicht und fielen zu Boden.
Lliam ließ wieder locker und als er wieder stand, fing er an, seine Kettendolche wieder um sich herumzuschleudern.
Kyrmoo verschwendete keine Zeit und schnappte sich Sayokos Arme und warf sie einmal richtig in die Luft.
„AH!“, schrie Sayoko.
Sie konzentrierte sich etwas und sammelte Energie im Zentrum ihres Körpers.
‚Ich weiß, dass ich das schaff!‘, sprach sie zu sich selbst und sammelte weiterhin ihre Energie.

„Schön euch kennenzulernen…“, begrüßte Requell seine Gäste.
„Wir freuen uns auch, dich kennenzulernen“, grinste Jumon.
Requell lag im Bett und trank gerade etwas Tee. Riven bot den zwei Mädchen, dem Jungen und dem Hasenmonster auch Tee an, den sie dankend annahmen.
„Erzählt mir ein wenig von euch“, bat Requell, der schon gespannt zuhören wollte.
„Mein Name ist Shiana Aroya“, fing Shiana als erstes an, „Ich… ich kann mich leider nicht mehr an fiel erinnern. Das Einzige, was in meinen Erinnerungen blieb, war irgendwie Ginta. Als er mich gerettet hat, bin ich seitdem mit auf seinen Reisen gegangen…“
„Ginta…“, seufzte Requell.
„Du weißt, dass er eigentlich ein guter Junge ist, er versteht das Ganze nur noch nicht so gut wie du.“, warf Riven ein.
„Okay… Macht es dir Spaß, mit Ginta unterwegs zu sein?“, fragte Requell neugierig.
„Ja, irgendwie schon“, antwortete sie, nachdem sie kurz inne hielt, „Ich kann mir nichts anderes vorstellen.“
„Und wer bist du, Kleine? Und vor allem wer ist der Große da?“
„Ich bin Tsuru Gappei“, stellte sich die Kleine höflich vor, „Das ist mein Freund Kûosa! Ist er nicht knuddelig?“
„Er sieht aus wie ein Monster…“, sagte Requell abweisend.
„Ist er gar nicht!“, schrie Tsuru, „Er ist der Beste auf der Welt!“
„Der Beste was?“
„Der beste Kûosa eben!“, verteidigte sie sich und zog einen Schmollmund.
Requell musste ein wenig Lachen: „Der beste Kûosa dann eben… Und wer bist du?“
Er sah nun zu Jumon herüber.
„Mein Name ist Jumon Butsu.“
„Wie lautet deine Geschichte?“
„Ich bin in einem kleinen Dorf auf einem sehr verschneiten Berg geboren. Ich bin von Zuhause weggelaufen, nachdem ich viel Streit mit meinen Eltern hatte… Hatte damals nämlich einige sonderbare Freunde.“
„Weißt du, er kann mit Geistern reden“, erklärte Shiana.
„Mit Geistern? Das will ich sehen!“
„Natürlich…“, meinte Jumon und wollte schon anfangen, sich zu konzentrieren.
„Jumon ich muss kurz draußen mit dir reden…“, unterbrach Riven ihn und ging mit ihm heraus.
Die anderen sahen ihnen verwundert hinterher.

Ein wenig zuvor flog Sayoko immer noch in der Luft. Sie schaffte es ihre Energie aufzuladen und formte in ihren Händen zwei dunkle Energiekugeln.
„Ich wollte das eigentlich nicht einsetzen, aber das hast du davon!“, brüllte sie Kyrmoo an, die in diesem Augenblick ihr mit geballten Fäusten entgegenflog.
Dann streckte sie ihre Arme aus und schoss diese Energiekugeln auf Kyrmoo entgegen, die sie nicht mehr rechtzeitig abwehren konnte. Sie flog zu Boden, während Sayoko sicher landen konnte.
Matra hingegen gewann die Oberhand. Im Nahkampf hatte sie ihre Vorteile, das wusste sie. Also griff sie Lliam unentwegt mit ihren Äxten an. Lliam schaffte es aber, seine Dolche so um sich herum zu schleudern, dass er einige Angriffe leicht parieren konnte.
In einem unachtsamen Augenblick für ihn, rammte Matra ihre Äxte in den Boden, wodurch dieser sich spaltete und einige Steine nach oben schossen. Lliam kam aus dem Gleichgewicht und machte einen Rückwärtssalto. Genau jetzt konnte Matra ihn zu Boden stoßen und ihm ihre Äxte bedrohlich vor den Hals zu halten.
Auch Sayoko schaffte es, Kyrmoo so zu besiegen. Sie saß neben ihr und hielt ihr ebenfalls den Dolch vor die Kehle.
„Okay okay! Ihr habt gewonnen, Gratulation!“, lachte Lliam und ließ sich von Matra auf helfen. Er klopfte sich den Dreck von den Klamotten.
„Ihr habt bestanden“, sagte Kyrmoo kühl, als würde sie die Niederlage nicht bekümmern.
„Jetzt könnt ihr ja wieder zu Ginta…“, gähnte Lliam, „Man bin ich jetzt müde.“
„Bevor wir das tun…“, meinte Sayoko, „Würde ich euch gerne noch etwas fragen. Wieso seid ihr der Vastus Antishal beigetreten?“
„Meine Insel wurde von den Shal terrorisiert… Ich musste was dagegen unternehmen“, antwortete Kyrmoo.
„Ich habe durch die Shal das wichtigste in meinem Leben verloren… Das war Grund genug für mich“, erklärte Lliam, „Aber es ist doch der Beweggrund, für jeden, oder? Ihr habt alle etwas verloren… Es ist wie bei unserem Boss.“
„Wie meinst du das?“, fragte Sayoko.
„Lass es mich kurz erklären… Als Riven 12 war, wurden in seinem Dorf einige Menschen von den Shal getötet. Unter anderem seine Familie… Irgendwie schaffte er es zu fliehen und fortan streifte er durch das Land. Von dem Kontinent, von dem wir her kommen, ist es eher so, dass jede Stadt und jedes Dorf sehr isoliert für sich Leben. Deswegen war es schwer für ihn, ein neues Zuhause zu finden. Nach einiger Zeit traf er ein Mädchen – ich weiß gar nicht mehr wie sie hieß – mit der er bei Mönchen trainierte. Schon damals schwor er sich Rache… Nach einiger Zeit gründete er die Vastus Antishal und zog mit seiner Freundin durch den Kontinent. Leider starb sie durch einen Zwischenfall mit den Shal, bevor er uns anderen treffen konnte. Riven ging es damals echt nicht gut, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er hat großen Schmerz in seinem Herzen… Aber trotzdem konnte er uns alle davon überzeugen, den VΞA beizutreten… Das war so ziemlich seine Geschichte, nicht wahr Kyrmoo?“
Sie bestätigte die Geschichte mit einem Nicken.
„Vielen Dank…“, bedankte sich Sayoko und ging mit Matra wieder Ginta suchen.

„Jumon du solltest das nicht machen… Zeig sie ihm nicht…“, forderte Riven.
„Die Geister?“, er sah sich etwas um, „Stimmt… ich hab total vergessen.“
„Es würde ihn nur traurig machen, wenn er sie sehen würde.“
„Aber vielleicht brauchen die Geister das, um nicht ewig verloren hier in dieser Stadt umher zu wandeln…“
Jumon sah, wie einige Geister über die Grabsteine schwebten und verzweifelt nach etwas suchten.
„Lass es einfach“, verdeutlichte Riven noch einmal. Nach einer kleinen Pause sprach er weiter.
„Ehm, Jumon. Hör mal. Ich weiß, dass die Shal nach Tsuru suchen. Ihr solltet gut auf sie aufpassen.“
„Die Shal? So eine Vermutung hatten wir auch… Aber wir waren eigentlich auf der Suche nach einer Bleibe für sie. Sie ist doch noch so klein.“
„Ich denke aber, dass sie sich gut verteidigen kann. Sie ist stark, außerdem hat sie diesen Bären bei sich. Trotzdem passt auf, dass die Shal sie nicht bekommen. Sie werden sie zu schlimmen Dingen zwingen.“
„Was für schlimme Dinge?“, wunderte sich Jumon.
„Die Shal planen das Ende der Welt… Du hast sicher mitbekommen, dass sie diese Kristalle und Gesteine einsammeln, nicht wahr?“
„Ja, wieso?“
„Passt einfach auf, dass sie kein weiteres Material bekommen, klar?“
„Japp…“, meinte Jumon und versuchte sich das in Gedanken zu erklären.
„Und Shiana… Passt auch gut auf sie auf, ja? Sie ist besonders.“
„Du… machst mir gerade ein wenig Panik“, sagte Jumon und schluckte schwer.
„Die ist auch nötig“, seufzte Riven und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, „Die ist auch nötig…“

‚Jeder hat etwas verloren?‘, dachte sich Sayoko, während sie mit Matra nach Ginta suchte, ‚Irgendwie stimmt das. Ginta verlor seine Eltern und seine Großmutter. Oto hat ihre Eltern verloren. Ama hat seine Familie verloren. Jumon hat sein Zuhause verloren. Tsuru hat ihres ebenfalls verloren. Matra verlor ihre Freundin und das Heiligtum ihrer Heimatstadt. Shiana hat keine Erinnerungen mehr, außer an Ginta. Wir haben alle etwas verloren. Aber können wir es wiederfinden? Das ist die Frage… Ach! Das macht doch alles gar keinen Sinn.‘
Sayoko seufzte schwer.
‚Warum waren Ginta und ich damals in der Stadt, was planen die Shal, was versteckt sich wirklich hinter den Shal…? Ich weiß es alles nicht… Das einzige, was mir bleibt ist zu warten, bis all diese Fragen, beantwortet werden…‘
„Er sitzt da…“, meinte Matra und zeigte auf einen kleinen Hügel mit einem Baum, an dessen Stamm er sich lehnte.
Der Boden war feucht, der Himmel wurde immer bewölkter.
„Hey Ginta…“, grüßte ihn Sayoko.
„Hey“, sagte er kurz.
Sayoko gab Matra einen kurzen Stoß in die Seite. Dann seufzte sie kurz und fing an: „Es tut mir Leid, was ich gesagt habe. Ich habe einfach nicht überlegt.“
„Ist schon gut, Matra. Ich nehme es dir nicht übel, du hattest ja recht. Es ist nur… Ich habe das Gefühl, als ob wir nichts erreichen würden. Langsam habe ich einfach keine Lust mehr. Außerdem will ich euch nicht weiter in Gefahr bringen… Ich habe so selbstlos gehandelt! Mich wundert es auch nicht, wieso Ryoma abgehauen ist und Oto im Med-Dorf blieb… Ich habe mich nie um ihre Wünsche gekümmert, genauso wenig wie ich mich um eure Wünsche kümmere.“
„Ginta…“, meinte Sayoko und setzte sich zu ihm, „Wir sind bei dir, weil wir dir helfen wollen und dich unterstützen wollen. Wir sind deine Freunde, du kannst auf uns zählen. Mach dir keine Sorgen, ja? Und um Ryoma und Oto brauchst du dir auch keine Sorgen machen. Denen geht es bestimmt gut!“
„Aber ich werde sie nie wieder sehen…“, murmelte Ginta, während er versuchte seine Tränen in sich zu halten.
„Du wirst sie wieder sehen, das werden wir alle, bestimmt!“, ermunterte Sayoko ihn.
„Ginta, du musst fest an deine Träume glauben und für deine Ziele kämpfen! Tue es für dich und tue es für uns und tue es für all die Menschen auf diesem Planeten“, meinte Matra und setzte sich auch, „Du bist nicht allein und das ist das Wichtigste. Es ist doch egal, wie organisiert man ist. Hauptsache, du lässt dir von den Leuten, die dir wichtig sind, auch helfen.“
„Ich verstehe schon…“, meinte Ginta und lachte kurz auf, „Danke Leute…“
„Gern geschehen… und jetzt komm, die anderen warten schon auf uns!“, grinste Sayoko.


Kapitel 56 – Die Kleinen ganz groß!

Die Stimmung war etwas geschlagen, seitdem die Freunde wieder unterwegs waren. Nachdem Matra und Sayoko ihre Herausforderung hinter sich brachten, gab es keinen Grund mehr für die Freunde in dem Dorf zu bleiben.
Riven legte ihnen Nahe, weiter zu reisen. Liebevolle Schlussworte gab es von ihm nicht während der Verabschiedung.
Sie mussten zu Fuß weiter. Lliam hätte ihnen wieder Angeboten, mit den Segelfahrzeugen weiterzufahren, jedoch brauchten die Vastus Antishal diese gerade selbst.
Das Wetter wurde immer schlechter. Die Wolken schmolzen zu einer dicken, grauen Decke zusammen. Es hätte jeden Moment zu regnen anfangen können.
„Die nächste Stadt ist wohl wieder etwas größer“, meinte Sayoko, „Wir können auch dort sicherlich billig übernachten. Weiterlaufen will ich bei dem schlechten Wetter eigentlich nicht mehr.“
„Geht mir genauso…“, meinte Ginta und sah in den Himmel, während er seine Arme hinter seinem Kopf verschränkte.
Die Stimmung war wirklich an einem Tiefpunkt angelangt. Niemand wollte sich unterhalten oder die Stimmung etwas auflockern. Selbst Tsuru saß auf Kûosas Schulter und langweilte sich. Nicht einmal Myu, die sich einmal nicht zu bequem war und vor Kûosas Füßen lief, konnte das kleine Mädchen noch aufheitern.

Nach einiger Zeit kamen sie in einer großen Stadt an, deren Häuser riesig waren. Die Gassen dazwischen wurden immer schmaler und kleiner. Manche davon waren mit viel Müll zugestopft.
Die Freunde erkundeten die Stadt und kamen bald an einem kleinen Park an.
„Wollen wir nicht etwas essen?“, schlug Ginta vor, „Ich habe schon richtig Hunger.“
„Außerdem ist es hier schön“, bekräftigte Shiana die vorsichtig zu Ginta sah.
„Und was, wenn es regnet?“, wandte Sayoko ein.
„Bestimmt nicht“, meinte Jumon und setzte sich auf die Wiese, „Und wenn doch, dann gehen wir halt einfach, ist doch nur Wasser…“
„Nur Wasser? Und meine Frisur?“, beschwerte sich Sayoko.
„Deine Haare trocknen dann schon…“, seufzte er.
„Jetzt seid doch nicht so, solang es noch trocken ist, geht das schon“, sagte Ginta und setzte sich ebenfalls hin. Er war der erste, der etwas zu Essen herausholte.
„Gut, dann essen wir halt hier…“, seufzte Sayoko und alle aßen.
Nach einiger Zeit beschäftigte sich jeder für sich. Es war still. Die einzige, die etwas Radau machte, war Myu, die aufgedrehter als sonst.
„Was ist denn los?“, wunderte sich Ginta, als er versuchte sie zu streicheln. Sie wich aus, als ob sie nicht von ihm berührt werden wollte.
„Dann halt nicht…“
Myu lief im Kreis umher. Als würde sie etwas bedrücken.
„Was ist denn los, du Kleine…“, meinte Tsuru und krabbelte ihr im Gras hinterher.
Sie kicherte, als Myu immer wieder verstört nach hinten blickte.
„Ich glaub, es ist eine schlechte Idee, wenn du sie so nervst…“, meinte Sayoko, die den Zweien gelangweilt zusah.
„Ach was! Sie will nur spielen“, kicherte Tsuru, die jetzt versuchte Myu zu fangen.
Immer wieder griff sie nach der Katze, aber schaffte es nicht ganz, sie zwischen die Finger zu kriegen.
Doch einmal war Myu nicht schnell genug und Tsuru erwischte sie so plötzlich, dass die Katze vor Schreck fast auf einen Baum gesprungen wäre.
Sie fauchte einmal und rannte plötzlich weg.
„Halt, warte!“, rief Tsuru und lief ihr hinterher.
Ginta schnallte nach oben.
„Wir sollten sie zurückholen“, meinte Sayoko.
Ginta nickte und stand auf.
Kûosa, Ginta und Sayoko folgten dem Mädchen sofort. Sie rannte aus dem Park, über eine Straße direkt in eine Gasse.
„Halt!“, rief ihr Ginta hinterher. Kûosa fuchtelte wild mit den Armen umher.
Doch es war zu spät. In einer Sackgasse kroch zunächst Myu, dann Tsuru durch ein kleines Loch in der Wand. Man konnte nicht drüber und nicht drunter. Die Beiden waren also weg.
„Na toll“, seufzte Ginta, „Was machen wir jetzt?“
„Wir sollten einen anderen Weg finden, die Anderen sollten auch mit suchen“, schlug Sayoko vor.
„Das ist eine gute Idee…“
Dann gingen sie so schnell wie möglich zurück, holten die Anderen und starteten die Suche.

Mittlerweile befand sich Tsuru in einer Art Müllparadies, einer geheimen Deponie, aus der es wohl kein Entkommen gab. So schien es zumindest, weil man nicht einmal mehr die umgebenden Mauern sah, vor der sich der Müll zu Türmen stapelte.
Myu saß auf einem Reifen und streckte sich.
„Hör zu, Myu… es tut mir ja Leid“, entschuldigte sich das Mädchen, „Das war nicht so gemeint.“
Myu gähnte herzhaft. Anscheinend interessierte sie es nicht.
„Hier ist es aber sehr unordentlich…“, stellte Tsuru fest und kletterte auf den riesigen Müllberg.
Sie hielt sich zuerst an einigen lockeren Gegenständen fest, bis sie dann jedoch halt fand um weiter hinauf zu klettern.
Plötzlich hörte sie etwas krachen und Hundebellen. Tsuru sah sich um, vielleicht war etwas passiert. Dann sah sie schnell Schatten vorbeispringen.
Was war das?
Sofort kletterte sie nach unten und sah Tiere, die verletzt am Boden lagen.
Es handelte sich um eine Katze, eine Taube, einer Maus – die aber eher einer Ratte glich – und zwei Flughörnchen. Tsuru beugte sich nach vorn und streichelte sie sanft. Die Tiere waren wirklich ernsthaft verletzt.
Myu sprang von ihrem Reifen herunter und sah sich die Verletzten ebenfalls an. Dann sah sie Tsuru fragend an.
„Ich hab eine Idee!“, rief sie und stürmte los. Sie wühlte durch den Müll und kam bald mit einer Hand voll kaputter Kuscheltiere zurück.
„Wisst ihr, das ist ganz lustig! Kûosa gefällt das auch!“, lachte sie und strahlte nur so.
Myu ging einige Schritte zurück. Sie wusste wohl, was jetzt nun kommen würde und war nicht scharf darauf, da aus Versehen mit reinzuraten.
Tsuru legte also die kaputten und schmutzigen Kuscheltiere neben die Verletzten Tiere und konzentrierte sich stark. Es leuchtete und im nächsten Augenblick waren schon neue Kreaturen geboren.
Durch ihre Fähigkeit fusionierte sie die Kuscheltiere mit den Tieren, um sie zu retten.
Aus der Maus wurde eine schuppige Ratte, die einen langen Schwanz hatte und diesen wie eine Schlange umherwand. Sein Fusionspartner war anscheinend eine Plastikschlange gewesen. Aus der Taube wurde eine Art geflügelter Pinguin. Tsuru fand hierfür ein Pinguinkuscheltier. Die zwei Flughörnchen verwandelten sich in unterschiedliches Getier. Das eine fusionierte sich mit einem Plüschhasen und das andere mit einem Plüschpanda. Die Katze hatte es wohl am schlimmsten erwischt. Sie bekam Teile eines Spielzeugfrosches mit Zylinder. Sie hatte nun das lustige Gesicht des Frosches, der einen Zylinder trug.
„Ihr schaut so toll aus!“, jubelte Tsuru.
Die Tiere musterten erst sich und dann die anderen.
„Was hast du nur gemacht?“, sagte plötzlich die Froschkatze mit einer sehr elektronischen Stimme, „Du hast uns verunstaltet!“
Sie leckte ihre Pfote um sich noch etwas sauber zu machen. Danach schob sie den Zylinder zu recht und auch den Monokel, den sie plötzlich trug.
Die Ratte fauchte und die Flughörnchen fiepten.
„Wie ich sehe“, fing die Froschkatze in einer sehr edlen Tonart an zu reden, „Bin ich die einzige, die bei der Fusion eine Sprachfunktion erhalten hat. Aber was erwartete von auch von einem Frosch mit Zylinder, der auch noch reden kann.“
„Du kannst in der Tat reden!“, kicherte Tsuru und setzte sich in die Hocke. Danach kraulte sie der Froschkatze etwas den Nacken, die sich daraufhin ausstreckte.
„Das ist nicht fair!“, beschwerte sie sich, während sie himmlisch verwöhnt wurde, „Das ist meine Schwachstelle…“
„Sag mal“, kicherte Tsuru, der es sichtlich Spaß machte, solche neuen Freunde zu haben, „Was ist denn hier passiert?“
Die Froschkatze setzte sich wieder auf. Sie seufzte.
„Eine Bande von Hunden hat uns wieder fertig gemacht! Und unser Essen geklaut“, erklärte sie.
„Was!?“, rief Tsuru entsetzt, „Das können die doch nicht machen!“
Sie sprang auf, was einen so energiegeladenen Luftwirbel verursachte, dass die zwei Flughörnchen in die Luft geschleudert wurden.
„Wir müssen was dagegen unternehmen!“
„Was unternehmen? Diese Hunde sind viel zu stark.“
Myu kringelte sich vor Lachen. Diese Tiere sahen zu komisch aus. Als sie sich wieder beruhigte, traute sie sich wieder in die Nähe von Tsuru. Sie setzte sich neben die Froschkatze und nickte nur.
„Das sind doch nur Köter…“, meinte Tsuru entschlossen und fing die Flughörnchen aus der Luft wieder auf, „Und ihr alle werdet helfen, bei meinem Plan.“
Sie fing das Lachen an, das für ein kleines Mädchen schon diabolisch klang.
„Diese Hunde machen wir doch ganz einfach platt! Wir müssen nur mit dem ganzen Müll ein paar Fallen aufstellen und so können wir sie bestimmt besiegen“, erklärte das Mädchen mit den grünen Haaren.
„Und wie willst du das anstellen?“, fragte die Froschkatze.
„Mh… Wie gesagt, mit einigen Fallen. Du… Schlangenratte! Du kannst doch mit deinem langen Schwanz sicher Sachen werfen, oder? Du formst aus Schlamm, Dreck und Müll einfach kleine Bomben, die man auf die Hunde werfen kann! Und du Hasenhörnchen, du jagst einen der Hunde durch ein Labyrinth in diesem Müllberg. So klein und wendig wie du bist, bekommt er dich sicherlich nicht! Und das Pandahörnchen fliegt durch die Gegend und bewirft die Hunde ebenfalls mit Geschossen…. Genau! Und mit dir, Froschkatze, baue ich noch einige Fallen, die zuschnappen, wenn ein Hund dadurch gerät, okay?“
Die Froschkatze sah seine Freunde an. Erwartungsvoll glänzten ihre Augen. Der Plan von Tsuru war wohl doch nicht so schlecht.
„Na gut…“, gab sie nach und alle gingen auf ihre Posten.
Die Schlangenratte bastelte wie gesagt mit dem Pandahörnchen einige Geschosse. Das Hasenhörnchen grub sich das Labyrinth. Zusammen mit Tsuru arbeitete die Froschkatze an einigen Fallen.
Myu war ständig bei Tsuru und überlegte sich, ob das wirklich hilfreich gegen ein Rudel Hunde wäre.
Nach einiger Zeit, schien alles vorbereitet zu sein. Tsuru setzte sich neben Myu und fing an sie um etwas zu bitten: „Du, sag mal Myu. Hast du nicht Lust uns zu helfen? Es wäre echt lieb, wenn du die Hunde herlocken würdest, damit wir ihnen eine Abreibung verpassen können!“
Tsuru setzte ihr schönstes Lächeln auf.
Man erkannte, wie Myu die Lust jetzt schon darauf verging. Der Gedanken an Hunde gefiel ihr anscheinend nicht so.
„Ach bitteeeeee!“, schmollte Tsuru.
Myu mauzte, stand auf und verschwand. Kurze Zeit später schon hörte man schon lautes Hundebellen.
„Los geht es, Freunde!“, brüllte Tsuru.
Dann gingen alle auf ihre Positionen. Myu wurde von den Hunden gejagt. Sie führte sie zu dem großen Müllberg.
Unter den Hunden war ein braun-rot gefleckter, ein großer grauer und der Anführer, ein rabenschwarzer Hund, mit einer Stachelhalskette. Alle drei bellten so laut sie nur konnten.
Dann trennten sie sich plötzlich. Das Hasenhörnchen brachte den rot-braunen Hund durch ihr Labyrinth. So schnell es nur konnte sprintete sie durch ihre Gänge. Dann blieb der Köter plötzlich in einem Reifen stecken. Der erste Hund war erledigt.

 

Der graue Hund bekam eine Salve aus Dreckkugeln ab, die das Pandahörnchen und die Schlangenratte mit höchster Präzision abfeuerten. Am Ende war der Hund so fertig, dass er einfach wegrannte.
Der Anführer blieb also noch als letztes übrig, Myu lockte ihn zu einigen Fallen, die zuerst nicht losgingen, aber dann ganz gut funktionierten. Das ständige Befreien aus den Fallen schwächte den Anführer der Hunde erheblich. Geschwächt zog er dann auch von dannen.
Tsuru und die Tiere jubelten. Anscheinend war die Bedrohung dieser Hundegang endlich beseitigt.

Dann hörte das Mädchen plötzlich eine vertraute Stimme, die nach ihr rief.
„Ist das etwa… Sayoko?“, wunderte sie sich, „Na gut, das heißt wohl, dass ich gehen muss!“
Schnell verabschiedete sie sich von den Tieren, die sich immer noch darüber freuten, dass die Hunde in die Flucht geschlagen wurden und packte Myu unter ihren Arm und rannte in die Richtung, aus der die Stimme kam.
Am Ende einer Gasse standen Sayoko und Kûosa, die nach ihr suchten.
Sie stürmte zu Kûosa und knuddelte sich an seinen Körper.
„Ach Tsuru, wo hast du nur gesteckt? Wir haben uns Sorgen um euch gemacht…“, meinte Sayoko und massierte ihre Schläfen. Sie war sichtlich gestresst.
„Weißt du Sayoko… ich habe nur mit Myu gespielt!“, antwortete sie und grinste über beide Ohren.
„Gut, dann lass uns die anderen suchen, damit wir ins Hotel können…“
„Geht klar…“, meinte Tsuru und drehte sich noch ein letztes Mal um, nur damit sie die Tiere sehen konnte, die ihr fröhlich hinterher winkten.